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Maßgeblicher Zeitpunkt für Beurteilung von Eignungszweifeln / Nachschieben von Gründen

War der vermeintliche Eignungsmangel dem Dienstherrn bei Einstellung bekannt?

Das kann dem Dienstherrn das Recht nehmen, sich später darauf zu berufen.
Hiervon gibt es allerdings Ausnahmen, vergleichen Sie Randnummer 80 in dem folgenden Zitat.

Oberverwaltungsgericht NRW, Urteil vom 25.08.21 - 6 A 383/20 -


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Grundsätzlich gilt, dass ein Eignungsmangel, der dem Dienstherrn bereits bei der Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf bekannt war, nicht als – alleiniger oder primärer – Entlassungs- bzw. Nichtübernahmegrund herangezogen werden kann. Als Grund für die Entlassung bzw. die Versagung der Übernahme kommen daher im Allgemeinen nur Eignungsmängel in Betracht, die erst im Beamtenverhältnis auf Widerruf aufgetreten oder bekannt geworden sind.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 09.06.1981 – 2 C 48.78 –, Rn. 25; OVG NRW, Beschluss vom 04.10.13 – 6 B 1081/13 –, RiA 2014, 32, Rn. 13 f.
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Die (erstmalige) Einstellung des Bewerbers schafft demnach einen Vertrauenstatbestand dahingehend, dass zu diesem Zeitpunkt der Dienstherr seiner schon aufgrund des Vorrangs des Gesetzes bestehenden Pflicht hinreichend nachgekommen ist und abschließend geklärt hat, ob der Bewerber alle beamtenrechtlichen Voraussetzungen erfüllt. Darüber hinaus gebietet es auch die Fürsorgepflicht des Dienstherrn, den Beamten alsbald wissen zu lassen, „woran er ist", damit dieser seine Lebensplanung entsprechend einrichten kann.
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Vgl. zum Beamten auf Probe: BVerwG, Urteil vom 25.02.1993 – 2 C 27.90 –, BVerwGE 92, 147, Rn. 9.
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Das bedeutet nicht, dass Verhaltensweisen des Beamten auf Widerruf im Vorbereitungsdienst vor der Begründung des Beamtenverhältnisses stets unberücksichtigt bleiben müssen. Etwas anderes gilt etwa dann, wenn in der Vergangenheit nicht abgeschlossene Vorgänge fortwirken und Rückschlüsse zum Beispiel auf die persönliche Eignung des Beamten während des Beamtenverhältnisses auf Widerruf zulassen und Vorgänge während des Vorbereitungsdienstes in einem anderen Licht erscheinen lassen. Ein Verhalten nach Begründung des Beamtenverhältnisses, das für sich allein die Entlassung nicht rechtfertigen könnte, kann damit unter Berücksichtigung vorangegangener Ereignisse ein besonderes Gewicht erhalten und eine entsprechende Entscheidung tragen, sog. Summeneffekt.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 09.06.1981 – 2 C 48.78 –, a. a. O., Rn. 25.


Welcher Zeitpunkt ist maßgeblich für die Beurteilung der Eignung durch das Gericht?


Oberverwaltungsgericht NRW, Urteil vom 25.08.21 - 6 A 383/20 -

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2. Der Vortrag des beklagten Landes ... zu weiteren Ereignissen in den Jahren 2019 und 2020, die, so das beklagte Land, die charakterliche Nichteignung des Klägers widerspiegelten (a.), und die Ausführungen ... zur körperlichen Nichteignung des Klägers (b.), sind im vorliegenden Verfahren nicht zu berücksichtigen.
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a. Für die Entscheidung der Frage, ob ein Bewerber für ein Amt die notwendige charakterliche Eignung besitzt, ist – abweichend von dem sonst für Verpflichtungsklagen regelmäßig maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der Entscheidung des Gerichts – die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgebend. Denn das Gericht ist auf die Überprüfung der zu jenem Zeitpunkt vom Dienstherrn getroffenen Beurteilung beschränkt.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 22.02.1990 – 2 C 13.87 –, NVwZ-RR 1990, 619, Rn. 25; Sächs. OVG, Beschluss vom 07.11.18 – 2 B 390/18 –, Rn. 9.
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Dies vorangestellt sind unter Berücksichtigung des maßgeblichen Entscheidungszeitpunkts die Ereignisse nach Erlass der Ablehnungsentscheidung nicht als veränderte Sachlage in das Verfahren einzubeziehen.


Darf der Dienstherr seine Entscheidungsbegründung später ergänzen und Gründe nachschieben?

Das ist unter bestimmten Voraussetzungen bzw. in beschränktem Umfang zulässig, stößt aber bald an rechtliche Grenzen.

Oberverwaltungsgericht NRW, Urteil vom 25.08.21 - 6 A 383/20 -

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Dies vorangestellt sind unter Berücksichtigung des maßgeblichen Entscheidungszeitpunkts die Ereignisse nach Erlass der Ablehnungsentscheidung nicht als veränderte Sachlage in das Verfahren einzubeziehen.
Die Voraussetzungen für ein Nachschieben von Gründen liegen ebenfalls nicht vor. Nach dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht dürfen Gründe nur nachgeschoben werden, wenn sie schon bei Erlass des Verwaltungsakts vorlagen, dieser nicht in seinem Wesen verändert und der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird.
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Vgl. ständige Rspr. BVerwG, Beschluss vom 15.05.14 – 9 B 57.13 –, NVwZ-RR 2014, 657 = juris Rn. 11 m. w. N.; Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 113 Rn. 81.
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Demnach handelt es sich bei den Geschehnissen, die sich in den Jahren 2019 und 2020 zugetragen haben (sollen), bereits deshalb nicht um zulässigerweise nachgeschobene Gründe, da sie nicht schon bei Erlass des Verwaltungsaktes vorlagen.
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b. Die nunmehr vom beklagten Land angeführte gesundheitliche Nichteignung des Klägers kann ebenfalls nicht zur Begründung der Nichtübernahmeentscheidung im Nachhinein herangezogen werden. Nach der Auffassung des beklagten Landes lag die gesundheitliche Nichteignung bereits zum Zeitpunkt der Nichtübernahmeentscheidung vor, weshalb es sich nicht um eine – je nach maßgeblichem Entscheidungszeitpunkt zu berücksichtigende – veränderte Sach- oder Rechtslage handelt.
Als nachgeschobene Begründung ist die körperliche Nichteignung ausgehend von dem zuvor aufgezeigten Prüfungsmaßstab nicht zulässig, da mit ihr eine Wesensänderung der Entscheidung einhergeht. Diese liegt darin, dass das beklagte Land zuvor die Ablehnung der Einstellung allein mit der – nur eingeschränkt gerichtlicher Nachprüfung unterliegenden – charakterlichen Nichteignung begründet hatte, wohingegen bei der Feststellung der körperlichen (Nicht-) Eignung dem Dienstherrn kein Beurteilungsspielraum zusteht.
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vgl. BVerwG, Urteil vom 25.07.13 – 2 C 12.11 –, BVerwGE 147, 244 = Rn. 24.
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Der dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sachverhalt wird, indem sich das beklagte Land nunmehr auf den eigenständigen Aspekt mangelnder gesundheitlicher Eignung stützen will, mithin vollständig ausgetauscht und nicht nur ergänzt, präzisiert oder vertieft.
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Der Einwand des beklagten Landes, durch das Heranziehen des Umstands der körperlichen Nichteignung sei der Kläger – ungeachtet der prozessrechtlichen Zulässigkeit des Vortrages – jedenfalls nicht in seinen Rechten verletzt, da er keinen Anspruch auf Übernahme in das Beamtenverhältnis habe, geht fehl. Denn der Kläger hat aus den nachstehenden Gründen einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung seines Antrags, aus dessen Nichterfüllung eine Verletzung seiner Rechte folgt.
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