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Verwaltungsgericht Aachen, Beschluss vom 26.08.21 - 1 L 480/21 -

Charakterliche Eignung als Ernennungsvoraussetzung

Die nachfolgende Pressemitteilung ist allgemein bekannt geworden. Sie beleuchtet einen Trend, auf den wir schon mit einer Table-Dance-Entscheidung hingewiesen haben: Einstellungsstellen prüfen das Verhalten von Bewerbern ims Inernet.

Verwaltungsgericht Aachen, Beschluss vom 26.08.21 - 1 L 480/21 -

Pressemitteilung:

Posts und Likes in den sozialen Netzwerken können Zweifel an charakterlicher Eignung für den Beruf des Bundespolizisten begründen


Mit Beschluss vom 26. August 2021 hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Aachen entschieden, dass die Bundespolizei zu Recht die Einstellung eines Bewerbers ablehnen darf, wenn sie Zweifel an dessen charakterlicher Eignung hat. Der Bewerber hatte bereits im März 2021 eine Einstellungszusage für September 2021 erhalten. Im Nachgang hierzu fielen der Bundespolizei diverse Aktivitäten in sozialen Netzwerken auf, die Anlass gaben, an der charakterlichen Eignung zu zweifeln. So fand sich u. a. ein „Like“ einer Karikatur, die einen Mann zeigt, der sich mit der Regenbogenfahne das Gesäß abwischt, oder auch ein „Mittelfinger-Emoji“ anlässlich eines gegen den Antragsteller verfügten Fahrverbots.
Der Antragsteller begehrt die Einstellung per einstweiliger Anordnung und beruft sich u. a. auf die Einstellungszusage. Die Kammer führte hierzu aus, der „Like“ der Karikatur mit der Regenbogenfahne reiche für sich genommen bereits aus, um Zweifel an der charakterlichen Eignung zu wecken. Der Beruf des Polizeimeisters sei im besonderen Maße durch den Kontakt mit Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft, Religionen und Weltanschauungen, aus allen Gesellschaftsschichten und unterschiedlicher sexueller Orientierungen geprägt. Durch das Klicken auf den zugehörigen „Gefällt-mir-Button“ eines Bildes mit eindeutig homophobem Inhalt werde deutlich, dass dem Antragsteller die nötige Toleranz und Neutralität fehle, um seine Dienstpflichten ohne Ansehung der Person auszuüben. Infolgedessen sei die Bundespolizei an die Einstellungszusage nicht mehr gebunden.

Aus dem Text der Gerichtsentscheidung

Vorliegend hat sich die Sachlage durch die Ende Juni 2021 bekannt gewordenen Aktivitäten des Antragstellers auf "Facebook" und "Instagram" geändert. Bei objektiver Betrachtung kann davon ausgegangen werden, dass die Behörde bei Kenntnis der maßgeblichen Umstände die Einstellungszusage nicht erteilt hätte, da in einer Gesamtschau ihre Einschätzung, es bestünden Zweifel an der charakterlichen Eignung des Antragstellers, rechtlich nicht zu beanstanden ist.
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Nach der für Einstellungsbegehren und auch den Fall der Einstellungszusage einschlägigen Norm des Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Diese Vorschrift gewährt allerdings keinen unbedingten Einstellungsanspruch, sondern vermittelt dem Bewerber lediglich ein grundrechtsgleiches Recht darauf, dass über seinen Antrag auf Zugang zu öffentlichen Ämtern nur nach Maßgabe seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung ermessensfehlerfrei entschieden wird. Die von dem Dienstherrn dabei vorzunehmende Beurteilung der Eignung eines Bewerbers für das angestrebte Amt – hier der charakterlichen Eignung des Antragstellers für das Amt eines Polizeimeisters im Polizeivollzugsdienst des Bundes – ist ein Akt wertender Erkenntnis und unterliegt daher nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung. Das Gericht hat nur zu überprüfen, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff verkannt, einen unrichtigen Sachverhalt zu Grunde gelegt, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachwidrige Erwägungen angestellt hat.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13.08.21 - 1 B 1102/21 -, a.a.O., Rn. 9, m.w.N.
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Dabei darf der Dienstherr die Einstellung eines Bewerbers bereits dann ablehnen, wenn berechtigte Zweifel an dessen Eignung bestehen.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 02.12.16 – 1 B 1194/16 –, juris, Rn. 15 f., m.w.N., vom 02.11.16 – 6 B 1172/16 –, juris, Rn. 9, und vom 18.10.13 – 1 B 1131/13 –, juris, Rn. 7 ff.
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Die prognostische Entscheidung der Antragsgegnerin, nach der begründete Zweifel an der charakterlichen Eignung des Antragstellers für das angestrebte Amt bestehen, erweisen sich vor diesem Hintergrund als vertretbar und beruht auf einer gesicherten und zutreffenden Tatsachengrundlage.
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Bereits das Posten eines Fotos einer gegen den Antragsteller gerichteten Fahrverbotsverfügung mit dem Titel: "Da is das ding", nebst zwei Lachsmileys und einem "Mittelfinger-Emoji" ist ausreichend, um Zweifel an der charakterlichen Eignung des Antragstellers zu erwecken. Die Zurschaustellung des Fahrverbotes unter Einsatz von Lachsmileys zieht die Sanktion ins Lächerliche und zeigt, dass der Antragsteller den Bußgeldbescheid weder ernst nimmt, noch dessen Besinnungsfunktion erkannt hat. Durch die Nutzung des "Mittelfinger-Emojis" suggeriert der Antragsteller, der als Polizeimeister selbst rechtliche Verstöße ahnden müsste, dass er rechtliche Vorgaben nicht respektiert. Da der entsprechende Post auf dem Account des Antragstellers immer noch gespeichert war, ist dessen Hinweis darauf, das zugrundeliegende verkehrswidrige Verhalten liege mehr als 1,5 Jahren zurück, ohne Belang. Zumal die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Begründung nicht auf das Fahrverbot selbst abstellte, sondern auf die beschriebene Darstellung in den sozialen Netzwerken.
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Auch der "Like" einer Karikatur, die einen Mann zeigt, der sich mit der Regenbogenfahne, die als Symbol der LGBTQ-Szene (Sammelbezeichnung für Personen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität) verwendet wird, das Gesäß abwischt, reicht für sich genommen aus, um Zweifel an der charakterlichen Eignung zu wecken. Der Beruf des Polizeimeisters ist im besonderen Maße durch den Kontakt mit Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft, Religionen und Weltanschauungen, aus allen Gesellschaftsschichten und unterschiedlicher sexueller Orientierungen geprägt. Durch das Klicken auf den zugehörigen "Gefällt-mir-Button" eines Bildes, mit eindeutig homophobem Inhalt, wird deutlich, dass dem Antragsteller die nötige Toleranz und Neutralität fehlt, um seine Dienstpflicht ohne Ansehung der Person auszuüben.
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Der Antragsteller kann auch objektive Anhaltspunkte, die erkennen lassen, dass in der hypothetischen Situation der Kenntnis der Behörde von den dargelegten Ereignissen diese die Einstellungszusage gleichfalls erlassen hätte, nicht vorweisen; dies geht zu seinen Lasten. Er hat hierzu schon nichts vorgetragen, sondern stützt seine Argumentation maßgeblich auf eine fehlende Sachverhaltsaufklärung und die Behauptung, er habe weder eine rassistische noch homophobe Gesinnung. Unter Berücksichtigung eines objektiven Maßstabs folgt aber bereits aus der rechtlich nicht zu beanstandenden Feststellung der Antragsgegnerin, dass Zweifel an der charakterlichen Eignung bestünden, dass die Behörde bei Kenntnis der zugrundeliegenden Social-Media-Aktivitäten die Zusicherung nicht gegeben hätte. Auch bei einer Orientierung am Wortlaut des § 38 Abs. 3 VwVfG und unterstellter Darlegungslast der Behörde ergäbe sich demnach kein für den Antragsteller günstigeres Ergebnis. Letztlich spricht für eine Nichterteilung der Zusicherung bei Kenntnis der Sachlage auch das von der Antragsgegnerin nur wenige Tage nach Kenntniserlangung erklärte Abstandnehmen von der Einstellungszusage.
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Da die Bindungswirkung gemäß § 38 Abs. 3 VwVfG ohne weitere Erklärung ipso iure mit Wirkung ex nunc entfällt, ist die vom Antragsteller monierte fehlende ausreichende Begründung und Mitteilung des konkreten Sachverhaltes irrelevant. Der streitige Wegfall der Bindungswirkung der Einstellungszusage hing nicht davon ab, dass die Antragsgegnerin sie als - unterstellt - rechtswidrigen Verwaltungsakt unter den eingeschränkten Voraussetzungen des § 48 VwVfG zurückgenommen hätte.
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Der Antragsteller hat auch keinen Rechtsanspruch auf Einstellung in den mittleren Polizeivollzugsdienst aus Art. 33 Abs. 2 GG. Der bei Einstellungen in ein Beamtenverhältnis zu beachtende Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers (Art. 33 Abs. 2 GG) beschränkt sich auf das formelle subjektive Recht auf eine sachgerechte Auswahl der Bewerber nach Eignung, Befähigung sowie fachlicher Leistung und führt nicht zu einem Anspruch auf Einstellung - gleiches gilt für die zur Konkretisierung des Art. 33 Abs. 2 GG ergangenen beamtenrechtlichen Vorschriften. Der Beamtenbewerber hat demgemäß in der Regel lediglich einen Anspruch darauf, dass der Dienstherr über seine Bewerbung eine am Leistungsgrundsatz ausgerichtete ermessensfehlerfreie Entscheidung trifft. Ein Ernennungsanspruch kommt somit nur in Betracht, falls gemäß Art. 3 Abs. 1 GG oder Art. 33 Abs. 2 GG eine Ermessensreduzierung auf null gegeben ist oder die Ernennung dem Bewerber rechtswirksam zugesichert wurde.
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Vgl. Schnellenbach/Bodanowitz, Beamtenrecht in der Praxis, 10. Auflage 2020, § 3, Rn. 31 ff., zur Beamtenernennung auf Probe.
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Dafür, dass dem Antragsteller ein Ernennungsanspruch aufgrund einer Ermessensreduzierung auf null zusteht, ist nichts geltend gemacht worden oder ersichtlich. Die berechtigten Zweifel an der charakterlichen Eignung stehen letztlich einer Ermessensreduzierung und damit einhergehend der Anordnung einer vorläufigen Zulassung zum mittleren Polizeivollzugsdienst im Eilverfahren entgegen.
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Andere Anspruchsgrundlagen, aus denen der Antragsteller einen Rechtsanspruch auf Ernennung zum Beamten auf Widerruf herleiten könnte, sind nicht ersichtlich.
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Soweit sich der ursprüngliche Neubescheidungsantrag des Antragstellers auf die ebenfalls am 6. Juli 2021 erklärte Ablehnung seiner Bewerbung bezog, ergibt sich angesichts der obigen Ausführungen zu den Zweifeln an der charakterlichen Eignung kein anderes Ergebnis.
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Da ein Anordnungsanspruch nach alledem nicht glaubhaft gemacht ist, ist der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen, ohne dass es noch darauf ankommt, ob dem Antragsteller ein Anordnungsgrund zur Seite steht.
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