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PDV 300 im Wandel der Rechtsprechung

Beispielhaft für die Veränderung der Rechtslage im Themenkreis "gesundheitliche Eignung des Beamten / Dienstfähigkeit" ist eine geänderte Bewertung des Regelwerks "PDV 300".
Wer Polizeibeamter werden (oder bleiben) wollte, musste seine gesundheitliche Eignung bisher an diesem Katalog von Ausschlussgründen messen lassen. Das Werk hat sich im Laufe der Jahrzehnte verändert, aber bezeichnend war immer, dass die Gerichte es nicht weiter hinterfragten, wenn unter Hinweis auf einen der in der PDV 300 aufgeführten Ausschlussgründe die Bewerbung eines Interessenten abgelehnt wurde.

Die Gerichte argumentierten damals: Die Dienstherren hätten mit der PDV 300 ihre Auffassung dargelegt und die Gerichte dürften nicht an Stelle des Dienstherrn darüber entscheiden, ob der konkrete Grund für die Ablehnung überzeugend sei. Die Dienstherren hätten da einen Beurteilungspielraum.

Das ist nun anders, da die Gerichte jetzt ausdrücklich für sich die Kompetenz beanspruchen, über medizinische Fragen selbst abschließend zu entscheiden.
Die PDV 300 für Polizeibeamte hat damit aufgrund der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stark an Bedeutung verloren. Zum Ausdruck kommt das in dem folgenden Auszug aus einem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin.

Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 22.01.14 - VG 7 K 117.13 -

II. Die Klägerin (ist) polizeidiensttauglich (i.e. für die Einstellung in den Polizeivollzugsdienst gesundheitlich geeignet), da jeweils keine Anhaltspunkte für aktuelle Polizeidienstunfähigkeit oder für eine die Einstellung ausschließende, negative Prognose ihres künftigen Gesundheitszustand vorliegen. Eine Polizeidienstuntauglichkeit kann nach der Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung insbesondere nicht mehr durch den Verweis auf die PDV 300 begründet werden (dazu unter 1.).
...

1. Soweit sich der Beklagte für die Polizeidienstuntauglichkeit der Klägerin auf die Ausschlussgründe Nr. 1.2.2 bzw. Nr. 10.4.2 der Anlage 1.1 der PDV 300 n.F. beruft, kann dies eine fehlende Polizeidiensttauglichkeit nicht begründen. Die PDV 300 stellt eine den Begriff der Polizeidiensttauglichkeit konkretisierende Verwaltungsvorschrift dar, mit der die gleichmäßige Anwendung der gesundheitlichen Eignungsvorausset-zungen gewährleistet werden sollte. Durch Erlass und Anwendung der PDV 300 hatte der Dienstherr das ihm in Bezug auf die gesundheitlichen Eignungsvoraussetzungen eingeräumte Ermessen gebunden bzw. den diesbezüglich bestehenden Beurteilungsspielraum ausgefüllt, um sicherzustellen, dass die gesundheitliche Eignung der Bewerber nach einheitlichen Maßstäben beurteilt wird. In der Rechtsprechung war dementsprechend anerkannt, dass sich hieraus eine Bindungswirkung für die Gerichte ergab (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.10.12 – OVG 4 M 19.12 –, EA, S. 3f.).
Angesichts der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die bezüglich der gesundheitlichen Eignungsvoraussetzungen eine volle Überprüfbarkeit und Überprüfungsverpflichtung durch die Gerichte annimmt, entfällt der diesbezügliche Anwendungsbereich der PDV 300 mit der Folge, dass eine Bindungswirkung für die Gerichte nicht mehr bejaht werden kann.


Die in Anlage 1.1 der PDV 300 aufgelisteten Ausschlussgründe beziehen sich auch auf den Bereich, für den ein Beurteilungsspielraum nicht mehr anzunehmen ist.
Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht klargestellt, dass der Dienstherr weiterhin einen weiten Einschätzungsspielraum bei der Bestimmung der körperlichen Anforderungen der jeweiligen Laufbahn hat und diese die Grundlage bilden sollen, auf der sodann – ohne verbleibenden Beurteilungsspielraum – festzustellen ist, ob ein Bewerber, dessen Leistungsfähigkeit gemindert ist, diesen Anforderungen genügt (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.07.13 – BVerwG 2 C 12.11 -, Rn. 12, 27). Bei den Ausschlusskriterien für die Polizeidiensttauglichkeit (vgl. Ziffer 2.3.3 der PDV 300), auf deren Merkmalsnummern 10.4.2 bzw. 1.2.2 n.F. sich der Beklagte beruft, handelt es sich jedoch um gesundheitliche Eignungsvoraussetzungen zur Erfüllung der vorher festgelegten körperlichen Anforderungen und damit um voll überprüfbare Voraussetzungen. Denn die aufgelisteten Merkmalsnummern bezeichnen Gesundheitsbeeinträchtigungen bzw. körperliche Zustände, bei deren Vorliegen der Dienstherr vor dem Hintergrund der aufgegebenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entweder von aktueller Dienstunfähigkeit ausgegangen ist oder prognostiziert hat, dass künftig gehäufte Erkrankungen oder Leistungsschwächen wie auch vorzeitige Dienstunfähigkeit nicht mit einem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad ausgeschlossen werden konnten (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 03.06.04 – BVerwG 2 B 52.03 -). Es handelt sich damit um gesundheitliche Gründe, warum ein Bewerber den zuvor an anderer Stelle festgelegten bzw. vorausgesetzten körperli-chen Anforderungen des Dienstes nicht gewachsen sein soll. Eine Auflistung der körperlichen Anforderungen für den Polizeivollzugsdienst findet sich dagegen nur ansatzweise („insbesondere“) unter Ziffer 1.2 PDV 300, der die Verwendung im Außendienst und (Wechsel-)Schichtdienst, den körperlichen Einsatz gegen Personen, die Anwendung unmittelbaren Zwangs und den Gebrauch von Waffen nennt.


Das Sächsische Oberverwaltungsgericht in Bautzen hat sich in einem Urteil vom 08.11.16 - 2 A 484/15 - u. a. wie folgt zur Bedeutung der PDV 300 geäußert:

Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts in Bautzen vom 08.11.16 - 2 A 484/15 -

RN 21
Dieser neue Prognosemaßstab zur Feststellung der (Polizei-)Diensttauglichkeit wirkt sich insbesondere auf die Handhabung der bundeseinheitlich geltenden Polizeidienstvorschrift „Ärztliche Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und der Polizeidienstfähigkeit“ (PDV 300) aus. Die besonderen Bestimmungen dieser Verwaltungsvorschrift enthalten Erfahrungssätze und führen dementsprechend Gesundheitsbeeinträchtigungen generalisierend und typisierend zum Teil katalogartig auf. Eine solche Pauschalisierung im Rahmen einer Verwaltungsvorschrift widerspricht indessen der vom Bundesverwaltungsgericht nunmehr geforderten Einzelfallprognose. Aus dem Umstand, dass eine Erkrankung in der PDV 300 aufgeführt ist, kann nicht mehr ohne weitere individuelle Prüfung auf die Polizeidienstuntauglichkeit geschlossen werden. Es ist vielmehr im konkreten Fall vom Dienstherr zu prüfen, ob bei Vorliegen eines bestimmten, dort aufgeführten Erkrankungstatbestands hinreichende Anhaltspunkte für die vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Gesundheitsprognose gegeben sind.

RN 22

Das Unterlassen der Ernennung unter stillschweigender Bezugnahme auf die Stellungnahme der Polizeiärztin ... kann die vom Beklagten selbst zu treffende Eignungsentscheidung nicht ersetzen. Die eigenverantwortliche Entscheidung ist vom Beklagten aufgrund einer dem Prognosemaßstab genügenden ärztlichen Begutachtung nachzuholen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.06.07 - Rn. 27).“


Wir möchten in diesem Zusammenhang aber auch unbedingt dazu raten, den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 16.01.17 - 4 S 394/15 - heranzuziehen. Zwar geht es in dem Beschluss um eine sehr seltene Erkrankung, aber die Ausführungen des VGH sind von grundlegendem Wert, so weit es um die PDV 300 geht.

Relativ ausführlich zu Fragen der Anwendung der PDV 300 - Nr. 10.4.2 - auch
VG Gelsenkirchen, Urteil vom 23.11.16 - 1 K 2166/14 - (Brustimplantat; PDV 300 zu pauschal)

Das Verhältnis des Bundesverwaltungsgerichts zu medizinischen "Katalogen" lässt sich aus einem Beschluss vom 16.04.20 - 2 B 5.19 - ersehen, wenngleich es dort nicht um die PDV 300 geht. Das Gericht formuliert folgenden 3. Leitsatz zu seiner Entscheidung:
"Leitlinien von ärztlichen Fachgremien oder Verbänden können (im Gegensatz zu den Richtlinien der Bundesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen) nicht unbesehen mit dem für die Beurteilung des Gesundheitszustandes gebotenen wissenschaftlichen Standard gleichgesetzt werden. Sie können nicht ohne Weiteres als Maßstab für diesen Standard übernommen werden. Die Feststellung des Standards obliegt der Würdigung des sachverständig beratenen Tatsachengerichts."
Man wird diese These wohl auch auf Fragen der gesundheitlichen Eignung anwenden dürfen, etwa wenn im Rahmen der Langzeitprognose von dem Amts- oder Personalarzt mit der S3-Leitlinie Adipositas argumentiert wird.
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