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Disziplinarrecht der Bundesbeamten: Disziplinarklage

Das Disziplinarklageverfahren (Klage des Dienstherrn gegen den Beamten)

Die Disziplinarklageschrift, die der Dienstherr bei dem Verwaltungsgericht einreicht, legt verbindlich fest, worüber das Disziplinargericht befinden soll. Die Disziplinarklageschrift muss inhaltlich bestimmten Erwartungen gerecht werden, insbesondere die vorgeworfenen Taten hinreichend genau beschreiben.

Das Verwaltungsgericht Berlin hat in einem Beschluss vom 13.09.10 - 80 Dn 41.08 - dazu ausgeführt, welche Anforderungen an eine Disziplinarklageschrift zu stellen sind.

Aus der Entscheidung:

Die Disziplinarklage wird abgewiesen.

Gründe
I.
Der Kläger übernahm den Beklagten 19… in den Polizeidienst des Landes Berlin, .....
Nach seinem Aufstieg in den gehobenen Dienst wurde er zuletzt 20… zum Polizeioberkommissar befördert. Seit dem 01.04.05  befindet sich der Beklagte im Ruhestand.

Durch Urteil ... verurteilte das polnische Amtsgericht Kolobrzeg den Beklagten wegen sexuellen Missbrauchs seiner minderjährigen Tochter und wegen Führens eines Kraftfahrzeuges unter Alkoholeinfluss zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren. Die Berufung des Beklagten wies das Bezirksgericht Koszalin mit rechtskräftigem Urteil vom 03.08.07 zurück.

Mit der unter dem 08.07.08 durch das Landesverwaltungsamt Berlin (nach vorangegangenem behördlichen Disziplinarverfahren) erhobenen Disziplinarklage wirft der Kläger dem Beklagten unter Bezugnahme auf die polnischen Strafurteile als Dienstvergehen vor, „zwischen September 2004 und Februar 2006 in O., Gemeinde K., Woiwodschaft Westpommern, Polen, seine minderjährige Tochter I. sexuell missbraucht“ zu haben, indem „er sie mit den Händen im Backenbereich [ sic ] und den Geschlechtsorganen berührt und geküsst“ habe.

Der Beklagte bestreitet den Vorwurf.

Die Beteiligten haben dem gerichtlichen Hinweis, dass beabsichtigt sei, die Klage im Beschlusswege (§ 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BDG) als unzulässig abzuweisen, nicht innerhalb der ihnen gesetzten Frist widersprochen und damit ihre Zustimmung zu dieser Verfahrensweise erteilt (§ 59 Abs. 1 Satz 2 BDG).

II.
Die Disziplinarklage ist unzulässig.

Mit ihr wird dem Beklagten vorgeworfen, „zwischen September 2004 und Februar 2006 in O., Gemeinde K., Woiwodschaft Westpommern, Polen, seine minderjährige Tochter I. sexuell missbraucht“ zu haben, indem „er sie mit den Händen im Backenbereich [ sic ] und den Geschlechtsorganen berührt und geküsst hat.“ Diese Beschreibung des Dienstvergehens genügt den an eine Substantiierung der Klage nach § 52 Abs. 1 BDG zu stellenden Anforderungen nicht, zumal dem Beklagten nur Verhaltensweisen vor seiner Zurruhesetzung, also bis zum 31.03.05, disziplinarrechtlich vorgeworfen werden können. Mögliche Missbrauchshandlungen nach dem 31.03.05 scheiden daher als Gegenstand des disziplinarrechtlichen Vorwurfs aus; es gibt insoweit keine einheitliche „fortgesetzte“ Tat, jeder Missbrauchsfall wäre eine eigenständige Tathandlung.

Aber auch hinsichtlich des disziplinarrechtlich maßgeblichen Zeitraums September 2004 bis März 2005 fehlt es der Disziplinarklage an hinreichender Substantiierung des Vorwurfs.
Gemäß § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG muss die Klageschrift die Tatsachen, in denen ein Dienstvergehen gesehen wird, und die anderen Tatsachen und Beweismittel, die für die Entscheidung bedeutsam sind, geordnet darstellen. Die Vorschrift knüpft an die weitgehend wortgleiche Vorgängerregelung des § 65 Halbs. 2 BDO an. Sie überträgt die Anforderungen, die § 65 Halbs. 2 BDO für die Anschuldigungsschrift festgelegt hat, inhaltlich unverändert auf die Klageschrift. Ebenso wie früher die Anschuldigungsschrift muss die Klageschrift die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich darstellen. Dies erfordert, dass Ort und Zeit der einzelnen Handlungen möglichst genau angegeben sowie die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden. Nur eine inhaltlich derart bestimmte Klageschrift ermöglicht dem beklagten Beamten eine sachgerechte Verteidigung gegen die disziplinarischen Vorwürfe (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23.11.06 - BVerwG 1 D 1.06 -m.w.N, Rn. 14 und 15.) Daneben soll die Klageschrift das Disziplinargericht in die Lage versetzen, sich mit Vorwürfen zu befassen, die in tatsächlicher Hinsicht abgegrenzt sind (BVerwG a.a.O. Rn 15).
Hier mangelt es der Disziplinarklageschrift an der Darstellung konkreter Vorkommnisse, insbesondere fehlen Angaben dazu, wann, wie oft, bei welcher Gelegenheit und auf welche Weise sich der dem Beklagten vorgeworfene sexuelle Missbrauch abgespielt haben soll. Diese nach deutschem Verständnis sowohl im Strafverfahren wie auch im Disziplinarverfahren notwendige Konkretisierung des Tatvorwurfs ist aus den in Bezug genommenen polnischen Strafurteilen nicht zu entnehmen. Dort heißt es (S. 4 unten der deutschen Übersetzung des Urteils des Amtsgerichts in Kolobrzeg) zum Tatvorwurf: „Im Zeitraum von mindestens vom September 2004 bis zum Februar 2006 unterzog H. die minderjährige Tochter, I.G., während D. nicht zu Hause war, sexuellen Handlungen, indem er sie mit der Hand berührte, und am Gesäß und Geschlechtsorganen küsste. Zu diesen Vorkommnissen ist es meistens abends oder nachts gekommen, wenn alle Hausbewohner schon schliefen. Damals ging H. ins Zimmer, wo I.G. schlief, nahm sie mit in sein Schlafzimmer, wo seine Tochter mit ihm schlief. In jener Zeit berührte und küsste er intime Bereiche der minderjährigen I. …“
Zwar werden hier einige Rahmenumstände der Missbrauchstaten näher beschrieben; gleichwohl bleibt unklar, wann und wie oft diese Taten geschehen sein sollen, ob jeder Missbrauchsfall gleich ablief bzw. ob und welche Unterschiede (möglicherweise Steigerungen) es gab. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass im Urteil zusammenfassend der gesamte Zeitraum von September 2004 bis Februar 2006 in den Blick genommen wird und aus dem Urteil nicht erkennbar ist, wie viele (z.B. Angabe einer Mindestanzahl) und welche Einzeltaten sich in dem hier maßgeblichen Zeitraum bis März 2005 abgespielt haben sollen, ist auch das polnische Strafurteil nicht geeignet, die für die Disziplinarklage notwendige Konkretisierung des Vorwurfs zu liefern. So würde es disziplinarrechtlich (und auch strafrechtlich) einen erheblichen Unterschied machen, ob es sich etwa um eine Tathandlung oder um zehn gleichartige Tathandlungen handelte. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang, dass der zu dieser Zeit noch im aktiven Dienst befindliche Beklagte nach seinen Angaben nur alle paar Wochen zu Besuch bei seiner Familie in Polen gewesen sein will, so dass auch nicht völlig ausgeschlossen erscheint, dass die Taten erst nach seiner Zurruhesetzung im April 2005 einsetzten. Das Amtsgericht in Polen legte den Zeitraum ab September 2004 seiner Verurteilung ersichtlich deshalb zugrunde, weil das betroffene Mädchen in seiner Erinnerung die Vorfälle ganz allgemein in die Zeit einordnete, seitdem es zur Vorschule ging (ab September 2004). Feststellungen des Amtsgerichts, wann die Missbrauchsfälle tatsächlich begannen (schon im September 2004 oder erst später im Schuljahr, ggf. sogar erst nach März 2005), fehlen und sind auch vom Kläger nicht getroffen und der Klageschrift zugrunde gelegt worden.
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