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Einsicht der Behörde in familiengerichtliche Akten?


Wir haben an anderer Stelle erwähnt, dass es bei Behörden in Hamburg einen etwas zu sorglosen Umgang mit der Vertraulichkeit medizinischer Daten gibt, wenn Disziplinarverfahren geführt werden und der jeweilige Ermittlungsführer bei der Personalabteilung anfragt, was denn wohl die Untersuchung bei Personalärztlichen Dienst erbracht habe.
In seltenen Fällen haben wir auch erlebt, dass familiengerichtliche Akten beigezogen werden sollten.
Hierzu hat nun das Bundesverfassungsgericht einen bemerkenswerten Beschluss gefasst.
Wenn Sie sich aber vor Augen führen, dass der Beamte das Bundesverfassungsgericht anrufen musste und dass alles Jahre gedauert hat, werden Sie wohl der Meinung zustimmen müssen, dass der Betroffene einen langen Atem haben muss.



Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 02.12.14 - 1 BvR 3106/09 -

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 25.11.09 - I-3 VA 2/09 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Düsseldorf zurückverwiesen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

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Die Verfassungsbeschwerde betrifft den Rechtsschutz gegen die Mitteilung von Informationen aus einem nicht abgeschlossenen familiengerichtlichen Verfahren an die Dienstbehörde des Beschwerdeführers.

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Der Beschwerdeführer war als Beamter des B... (im Folgenden: B.) mit der Bearbeitung von Asylanträgen betraut. Über eine Kontaktanzeige lernte er eine Frau kennen, die erfolglos Asyl beantragt hatte. Zwischen dem Beschwerdeführer und dieser Frau kam es zu mehreren Treffen, bei denen eine gemeinsame Tochter gezeugt wurde. Wegen seiner anfänglichen Weigerung, die Vaterschaft anzuerkennen, strengte die Kindesmutter gegenüber dem Beschwerdeführer ein familiengerichtliches Verfahren zur Feststellung der Vaterschaft an.

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In diesem Verfahren verpflichtete das Amtsgericht den Beschwerdeführer, eine Blutprobe zur Aufklärung der Abstammung abzugeben. Die sofortige Beschwerde hiergegen wies das Oberlandesgericht mit einem Beschluss zurück, dessen Begründung den Vortrag des Beschwerdeführers, steril zu sein, ebenso erwähnt wie die Existenz eines Spermiogramms aus einem Fertilitätsgutachten. Der Beschluss des Oberlandesgerichts referiert die Einlassungen der Beteiligten zu den Umständen der Treffen des Beschwerdeführers mit der Kindesmutter und führt bei Gegenüberstellung der jeweiligen Interessen der Verfahrensbeteiligten zur Interessenlage des Beschwerdeführers aus:

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„Das Interesse des Beklagten an einem Scheitern der Klage ist … groß …. Wird er als Vater festgestellt, muss er mit Unterhaltspflichten rechnen. Daneben steht ein Ansehensverlust zu befürchten, wenn bekannt würde, dass er sich mit unlauteren Mitteln - neben der Auswertung verwaltungsinterner Akten für private Zwecke …. - durch wahrheitswidrige Behauptungen Vorteile verschaffen wollte. … Schließlich muss er berufliche Nachteile gewärtigen. ….“

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Nachdem das B. hiervon aus der Presse erfahren hatte, wandte es sich an die befassten Gerichte und bat um Mitteilung, ob die Berichte, das Oberlandesgericht habe festgestellt, der Beschwerdeführer habe sich „durch wahrheitswidrige Behauptungen Vorteile verschaffen“ wollen, zuträfen. Gegebenenfalls ersuchte es um Auskunft, auf welchen Feststellungen diese Bewertung beruhe und ob strafrechtliche Maßnahmen eingeleitet worden seien. Das Ersuchen erfolge im Hinblick auf die Prüfung dienstrechtlicher Maßnahmen gegen den Beschwerdeführer.

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Der am Amtsgericht mit dem familiengerichtlichen Verfahren befasste Richter verfügte daraufhin, dem B. „unter Bezugnahme auf die Anfrage“ Kopien des Beschlusses des Oberlandesgerichts mit geschwärztem Namen der Mutter zu übersenden. Eine weitere Begründung enthält die Verfügung nicht. Auf Anfrage des Datenschutzbeauftragten erklärte der Amtsrichter später, die Verfügung sei im schwebenden Verfahren als Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 GG erfolgt. Eine Anhörung des Beschwerdeführers vor der Übersendung des Beschlusses des Oberlandesgerichts erfolgte nicht.

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1. Aus einer Einsichtnahme in die ihn betreffenden Akten des B. erlangte der Beschwerdeführer Kenntnis von der Übersendung des oberlandesgerichtlichen Beschlusses. Daraufhin beantragte er beim Oberlandesgericht die Feststellung, dass die Weitergabe von Aktenbestandteilen aus seinem nicht öffentlich verhandelten familienrechtlichen Verfahren an das nicht verfahrensbeteiligte B. rechtswidrig gewesen sei.

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2. Das Oberlandesgericht wies den Antrag als unzulässig zurück. Die Feststellungsanträge des Beschwerdeführers seien unstatthaft. Das Verfahren gemäß §§ 23 ff. des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz (EGGVG) sei nicht eröffnet, denn nach § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG sei in diesem Verfahren nur über die Rechtmäßigkeit von Justizverwaltungsakten zu entscheiden. Nicht zu den Justizverwaltungsakten gehörten Entscheidungen, die von einem Richter im Rahmen der richterlichen Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit getroffen würden. Die Entscheidung darüber, ob in schwebenden Verfahren im Wege der Amtshilfe Auskünfte aus den Gerichtsakten zu erteilen seien, sei richterliche Tätigkeit, die nicht dem Bereich äußerer Ordnung zugehöre und deshalb der Unabhängigkeitsgarantie unterstehe. Dem stehe auch § 299 Abs. 2 ZPO nicht entgegen. Diese Vorschrift regele nach ihrem Wortlaut lediglich die Einsicht durch dritte „Personen“; sie könne daher auf Amtshilfeersuchen von Behörden, die auf Einsicht in oder Auskünfte aus Gerichtsakten gerichtet sei, keine Anwendung finden. Die vereinzelt vertretene Gegenansicht beschränke die Anwendbarkeit des § 299 Abs. 2 ZPO auf Ersuchen von Behörden um die Gewährung von Akteneinsicht oder Erteilung von Abschriften; sie befasse sich nicht ausdrücklich mit Auskünften aus Gerichtsakten. Dies ziele darauf, auch ersuchenden Behörden die Glaubhaftmachung eines rechtlichen Interesses abzuverlangen und damit die Vorschrift des Art. 35 Abs. 1 GG einengend zu konkretisieren. Auch § 22 Abs. 1 Satz 1 EGGVG führe nicht dazu, dass in derartigen Fällen das Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG eröffnet wäre. Denn §§ 12 bis 21 EGGVG beträfen ausschließlich die Übermittlung personenbezogener Daten von Amts wegen, nicht hingegen Datenübermittlungen auf Ersuchen, wie sich aus § 12 Abs. 1 Satz 1 EGGVG ergebe.

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Im vorliegenden Fall habe der Richter am Amtsgericht im Rahmen eines schwebenden familiengerichtlichen Verfahrens die vom B. erbetene Auskunft im Wege der Amtshilfe erteilt. Damit handele es sich bei der vom Antragsteller angegriffenen Maßnahme um richterliche Tätigkeit und nicht um einen Akt der Justizverwaltung. Ohne Belang sei, dass die erbetene Auskunft durch Übersendung einer Ablichtung einer gerichtlichen Entscheidung erteilt worden sei. Inhalt und damit zusammenhängend Art und Weise der Auskunftserteilung unterlägen der richterlichen Unabhängigkeit.

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Auch wenn die Auskunftserteilung als Rechtsprechungsakt für sich genommen nicht angreifbar sei, werde der Beschwerdeführer nicht schutzlos gestellt oder sein Rechtsschutz willkürlich beschnitten. Art. 19 Abs. 4 GG gebiete nicht, nach §§ 23 ff. EGGVG einen gesonderten Rechtsweg zu eröffnen. Falls im Disziplinarverfahren wegen der Verwertung der Auskunft eine nachteilige Entscheidung ergehe, könne der Beschwerdeführer ein etwaiges verfassungsrechtliches Verwertungsverbot in einem gerichtlichen Verfahren gegen die Disziplinarverfügung geltend machen. Nichts anderes folge daraus, dass dem Beschwerdeführer der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 23 ff. EGGVG offen gestanden hätte, wenn das Auskunftsersuchen des B. nach Verfahrensbeendigung bei Gericht eingegangen wäre. Die Möglichkeit einer derartigen Zufälligkeit sei mit jeder rechtlichen Unterscheidung, die sich an Zeitabschnitten orientiere, verbunden.

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Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sowie aus Art. 19 Abs. 4 GG.

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1. Die Übersendung des Beschlusses und die Entscheidung des Oberlandesgerichts verletzten sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die Übersendung von Akten mit Angaben zu intimsten Details des Privatlebens greife in die informationelle Selbstbestimmung ein, die auch gegenüber seiner Dienstbehörde zu schützen sei. Sein Fall sei der Übersendung von Akten aus einem Ehescheidungsverfahren vergleichbar, die das Bundesverfassungsgericht schon vor langem für verfassungswidrig erachtet habe. Das Oberlandesgericht habe keine Abwägung vorgenommen und verfassungsrechtliche Maßstäbe missachtet. Es habe kein öffentliches Interesse aufgezeigt, das ein Eindringen in die Intimsphäre zwingend erfordere.

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2. Eine Beschwerdemöglichkeit gegen die Entscheidung des Amtsgerichts zu verneinen, verkenne neben dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Während eines laufenden Verfahrens dürften die entstandenen Aktenvorgänge nicht anders behandelt werden als nach Abschluss des Verfahrens. Die Unterscheidung zwischen der Weitergabe von Aktenbestandteilen in einem schwebenden Verfahren und den erst nach Abschluss eines Verfahrens anwendbaren Vorschriften beziehungsweise den §§ 12 ff. EGGVG könne nicht überzeugen. Ein Amtsrichter könne nach dieser Rechtsprechung ohne formellen Beschluss willkürlich Akteneinsicht gewähren. Falls die Akteneinsicht dennoch bekannt werde, hätten die Parteien keine Möglichkeit, eine gerichtliche Entscheidung über ihre Zulässigkeit einzuholen. Der Datenschutz werde so während eines laufenden Verfahrens quasi beseitigt. Dass dies mit dem Rechtsstaatsprinzip und der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar sei, habe das Oberlandesgericht selbst gesehen, wenn es feststelle, dass, auch wenn die Auskunftserteilung als Rechtsprechungsakt unanfechtbar sei, dies lediglich bedeute, dass sie für sich genommen nicht angreifbar sei.

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Er dürfe nicht auf ein etwaiges Verwertungsverbot im späteren Disziplinarverfahren verwiesen werden. Die Dienstbehörde bekomme sonst von intimsten medizinischen Sachverhalten Kenntnis, ohne dass der Betroffene vorher Stellung nehmen könne. Er könne allenfalls eine „Nichtverwertung“, aber kein „tatsächliches Nichtwissen“ seiner Dienstbehörde mehr erreichen. Daran könne die Qualifizierung der Auskunftserteilung als Akt der richterlichen Unabhängigkeit nichts ändern.

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...

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Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet.

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Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG in Verbindung mit seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG. Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts kann dem Beschwerdeführer Rechtsschutz nicht mit dem Hinweis darauf verweigert werden, dass die Übermittlung von Aktenbestandteilen an eine nicht verfahrensbeteiligte Behörde während eines schwebenden Verfahrens spruchrichterliche Tätigkeit sei (1.). Die Auslegung und Anwendung der Vorschriften der ZPO und des EGGVG durch das Oberlandesgericht verwehren dem Beschwerdeführer effektiven Rechtsschutz in unzumutbarer Weise (2.).

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1. Art. 19 Abs. 4 GG enthält ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen gerichtlichen Schutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 8, 274 <326>; 67, 43 <58>; 104, 220 <231>; 129, 1 <20>; stRspr). Nicht zur öffentlichen Gewalt im Sinne dieser Bestimmung gehören allerdings Akte der Rechtsprechung. Denn Art. 19 Abs. 4 GG gewährt Schutz durch den Richter, nicht gegen den Richter (vgl. BVerfGE 11, 263 <265>; 15, 275 <280 f.>; 49, 329 <340>; 65, 76 <90>; 107, 395 <403 f.>). Die hier in Streit stehende Mitteilung von Informationen durch die Übersendung des oberlandesgerichtlichen Beschlusses aus dem Zwischenverfahren ist jedoch nicht als spruchrichterliche Tätigkeit zu beurteilen und damit auch nicht von der Gewährleistung des Art. 19 Abs. 4 GG ausgenommen.

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a) Der Begriff der rechtsprechenden Gewalt ist durch die Verfassungsrechtsprechung nicht abschließend geklärt. Ob die Wahrnehmung einer Aufgabe als Rechtsprechung im Sinne von Art. 92 GG anzusehen ist, hängt wesentlich von verfassungsrechtlichen Vorgaben sowie von traditionellen oder durch den Gesetzgeber vorgenommenen Qualifizierungen ab. Von der Ausübung rechtsprechender Gewalt kann - in allein organisationsrechtlicher Betrachtung - nicht schon dann gesprochen werden, wenn ein staatliches Gremium mit unabhängigen Richtern im Sinne der Art. 92 ff. GG besetzt ist (BVerfGE 103, 111 <136 f.> m.w.N.). Der Begriff der rechtsprechenden Gewalt wird vielmehr maßgeblich von der konkreten sachlichen Tätigkeit her bestimmt (vgl. BVerfGE 103, 111 <137>; 107, 395 <406>; 116, 1 <10>). Kennzeichen rechtsprechender Tätigkeit ist typischerweise die letztverbindliche Klärung der Rechtslage in einem Streitfall im Rahmen besonders geregelter Verfahren (BVerfGE 103, 111 <138>).

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b) Zwar ist die Entscheidung des Rechtsstreits zwischen dem Beschwerdeführer und der Mutter seiner Tochter um die Anerkennung der Vaterschaft Rechtsprechung in diesem Sinne. Dies bedeutet aber nicht, dass die Mitteilung von Informationen aus dem schwebenden Verfahren durch Übersendung einer Kopie des oberlandesgerichtlichen Beschlusses an nicht verfahrensbeteiligte Dritte ebenfalls Rechtsprechung und damit kein Akt öffentlicher Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs.  4 GG wäre. Da die Übersendung des oberlandesgerichtlichen Beschlusses zur Mitteilung der angeforderten Informationen an das B. auf dessen Ersuchen der Erfüllung seiner eigenen behördlichen Aufgaben, nicht aber der Entscheidung des Rechtsstreits zwischen dem Beschwerdeführer und der Kindesmutter diente, kann die Übersendung nicht allein deshalb, weil sie aus einem laufenden Rechtsstreit heraus erfolgte, als spruchrichterliche Tätigkeit qualifiziert werden. Ebenso wenig geht es bei einer solchen Mitteilung um Streitbeilegung oder die letztverbindliche Klärung der Rechtslage in dem zugrundeliegenden Rechtsstreit und damit um Rechtsprechung.

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Die Erteilung von Auskünften aus einem laufenden Verfahren gegenüber Dritten wird auch sonst nicht zum traditionellen Kernbereich der Rechtsprechung gerechnet. Sie ist diesem auch nicht wegen ihrer Verbindung mit dem Verfahren, in dessen Akten Einsicht begehrt wird, zuzuordnen. Dies zeigt sich beispielsweise an der Vorschrift des § 299 Abs. 2 ZPO, die ausdrücklich vorsieht, dass der Vorstand des Gerichts, der als solcher stets verwaltend und nicht rechtsprechend tätig wird, privaten Dritten (vgl. Prütting, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Aufl. 2013, § 299 Rn. 20) Einsicht in die Akten gestatten kann. Hiergegen ist dann auch Rechtsschutz eröffnet (vgl. §§ 23 ff. EGGVG). In beiden Konstellationen handelt es sich gleichermaßen um die Erteilung von Auskünften aus laufenden Verfahren an verfahrensfremde Dritte.

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Die im vorliegenden Fall erfolgte Erteilung von Auskünften an eine Behörde im Rahmen von Art. 35 Abs. 1 GG ist deshalb im Ergebnis als Verwaltungstätigkeit anzusehen, die grundsätzlich von der Garantie des Art. 19 Abs. 4 GG umfasst ist.

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2. Die Auslegung und Anwendung des maßgeblichen Verfahrensrechts durch das Oberlandesgericht verwehren dem Beschwerdeführer wirkungsvollen Rechtsschutz in unzumutbarer Weise.

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a) Die in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes wird in erster Linie von den Prozessordnungen gesichert. Sie treffen Vorkehrungen dafür, dass der Einzelne seine Rechte auch tatsächlich wirksam durchsetzen kann und die Folgen staatlicher Eingriffe im Regelfall nicht ohne gerichtliche Prüfung zu tragen hat (BVerfGE 104, 220 <231>; vgl. auch BVerfGE 129, 1 <20> m.w.N.). Ebenso wie der Gesetzgeber bei der normativen Ausgestaltung der Prozessordnungen müssen die Gerichte bei der Auslegung und Anwendung dieser Normen das Ziel der Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG verfolgen (vgl. BVerfGE 77, 275 <284>). Insbesondere dürfen sie den Zugang zu den Rechtsuchenden eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. BVerfGE 44, 302 <305>; 69, 381 <385>; 77, 275 <284>; 134, 106 <117 Rn. 34>). Von solchen rechtsschutzfreundlichen Auslegungsgrundsätzen muss sich das Gericht auch bei der Antwort auf die Frage leiten lassen, ob der vom Gesetzgeber grundsätzlich bereitgestellte Rechtsschutz im Einzelfall eröffnet ist.

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b) Dem wird die Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht gerecht. Der Gesetzgeber stellt hier Rechtsschutzmöglichkeiten bereit, deren Auslegung und Anwendung durch das Oberlandesgericht dem Ziel der Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes nicht genügen.

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aa) Die Übermittlung von personenbezogenen Daten aus den Akten zivilgerichtlicher Verfahren an private Dritte und an andere Gerichte oder an Behörden, die im Wege der Erteilung von Auskünften, der Einsicht in die Akten oder der Übersendung von Akten oder Aktenteilen erfolgt, und der hiergegen eröffnete Rechtsschutz sind nicht einheitlich sowie an verschiedenen Stellen geregelt. Die Einsicht privater Dritter in die Akten eines laufenden Verfahrens regelt § 299 Abs. 2 ZPO. Eine Übermittlung personenbezogener Daten durch Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit an öffentliche Stellen regeln, wenn sie von Amts wegen erfolgt, die §§ 12 ff. EGGVG. Subsidiäre Rechtsgrundlagen für die Datenübermittlung öffentlicher Stellen enthalten auch die Datenschutzgesetze des Bundes und der Länder. Gegen die Übermittlung von Daten aus abgeschlossenen Verfahren ist der Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG eröffnet, worauf die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts selbst hinweist. Gleiches gilt, wenn der Gerichtsvorstand nach § 299 Abs. 2 ZPO privaten Dritten Akteneinsicht gestattet (Prütting, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Aufl. 2013, § 299 Rn. 28). Für die Fälle der Übermittlung von Amts wegen nach §§ 12 ff. EGGVG erklärt § 22 Abs. 1 Satz 1 EGGVG unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls den Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG für eröffnet. Insgesamt handelt es sich damit um eine komplexe Gemengelage von Vorschriften, die zu berücksichtigen sind, wenn es die Rechtmäßigkeit einer Datenübermittlung zu prüfen gilt. Allen zitierten Vorschriften ist jedoch gemein, dass für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Übermittlung direkt - oder vermittelt über § 22 EGGVG - im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG der Rechtsweg zum Oberlandesgericht eröffnet wird, sofern kein anderer Rechtsweg zur Verfügung steht.

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bb) Angesichts dieser Vorschriften, die die Intention des Gesetzgebers nahelegen, in allen genannten Konstellationen eine Möglichkeit zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Datenübermittlung zu eröffnen, hätte eine Auslegung der Vorschriften der Zivilprozessordnung und des EGGVG, die auch dem Beschwerdeführer den Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG eröffnet hätte, dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes entsprochen und die Grenze zulässiger Auslegung einfachen Rechts nicht überschritten. Demgegenüber hat das Oberlandesgericht eine Auslegung vorgenommen, die gerade und - soweit ersichtlich - allein für den Fall, dass Daten aus schwebenden Verfahren an öffentliche Stellen auf deren Ersuchen übermittelt werden, jeglichen Rechtsweg ausschließt. Dies steht in Widerspruch zu dem aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Gebot, den fraglichen Normen in den Grenzen des Zulässigen eine Interpretation zukommen zu lassen, die jedem die Möglichkeit der Überprüfung belastender Rechtsakte der öffentlichen Gewalt einräumt.

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Der Hinweis des Oberlandesgerichts, der Beschwerdeführer werde auch deshalb nicht schutzlos gestellt oder in seinem Rechtsschutz willkürlich beschnitten, weil er in einem gerichtlichen Verfahren gegen eine möglicherweise ergehende Disziplinarverfügung ein etwaiges verfassungsrechtliches Verwertungsverbot geltend machen könne, ist im hier gegebenen Zusammenhang nicht tragfähig. Es ist nicht ersichtlich, dass in der vorliegenden Konstellation nachgelagerter Rechtsschutz gegen die Verwertung der Daten selbst die Gewährung von Rechtsschutz gegen die Datenübermittlung ersetzen kann. Die Dienstbehörde erhält allein schon durch die Übermittlung Kenntnis von höchstpersönlichen Daten, noch bevor der Beschwerdeführer Rechtsschutz erlangen oder sich überhaupt äußern kann, und selbst der nachgelagerte Rechtsschutz steht dem Beschwerdeführer nur dann offen, wenn es tatsächlich zu einer Verwertung der übermittelten Daten kommt. Verwertet die Dienstbehörde die übermittelten Daten nicht oder unterbleibt eine im Rechtsweg angreifbare Disziplinarentscheidung aus anderen Gründen, hat der Beschwerdeführer keinerlei Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Übermittlung gerichtlich überprüfen zu lassen.

29
cc) Die vom Oberlandesgericht im Hinblick auf den Schutz richterlicher Unabhängigkeit geltend gemachten Bedenken überzeugen nicht und finden auch sonst in der geltenden Rechtslage keinen Rückhalt. Dies wird schon daran deutlich, dass gegen die auf § 299 Abs. 2 ZPO und die §§ 12 ff. EGGVG gestützte Übermittlung von Daten im Verfahren der §§ 23 ff. EGGVG vorgegangen werden kann, obwohl es sich auch hier um die Übermittlung von Daten aus schwebenden Verfahren handelt. Dass sich die Übermittlung von Daten an private Dritte oder von Amts wegen an Behörden im Hinblick auf die für die richterliche Unabhängigkeit wesentliche Aktenherrschaft des erkennenden Gerichts in einer Weise von der Übermittlung an nicht verfahrensbeteiligte Behörden auf deren Ersuchen unterscheiden würde, dass deswegen der Ausschluss einer gerichtlichen Überprüfung gerechtfertigt wäre, ist nicht ersichtlich.

30
dd) Vorliegend gebietet auch das rechtsstaatliche Ziel, die Eröffnung eines endlosen Rechtswegs auszuschließen, kein anderes Ergebnis. Die mit der Verfolgung dieses Ziels verbundene einengende Auslegung des Art. 19 Abs. 4 GG kann nicht als Grund angeführt werden, rechtlichen Schutz auch dort zu verweigern, wo - wie vorliegend - kein unendlicher Rechtsweg droht (vgl. BVerfGE 107, 395 <407 f.>). Wird dem Beschwerdeführer die Möglichkeit eröffnet, die Rechtmäßigkeit der vom Amtsgericht angeordneten Übermittlung des oberlandesgerichtlichen Beschlusses an seine Dienstbehörde überprüfen zu lassen, führt dies lediglich dazu, dass ihm der Instanzenzug offensteht, der auch bei anderen Justizverwaltungsakten gegeben ist; dieser Rechtsweg findet jedenfalls mit der Rechtsbeschwerde nach § 29 EGGVG ein Ende.

31
Es lässt sich nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit feststellen, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Zurückverweisung an das Ausgangsgericht im Ergebnis von vorneherein keinen Erfolg haben kann (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Denn es ist nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn es den Antrag des Beschwerdeführers für statthaft erachtet und die Rechtmäßigkeit der Übersendung des oberlandesgerichtlichen Beschlusses an das B. überprüft hätte. Das Oberlandesgericht wird der Frage nach der Rechtsgrundlage dieser Übermittlung nachzugehen haben. In diesem Zusammenhang wird zu berücksichtigen sein, dass die Übermittlung, die einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG des Beschwerdeführers begründet, nicht allein auf Art. 35 Abs. 1 GG gestützt werden kann, sondern einfachgesetzlich geregelt sein muss (vgl. BVerfGE 65, 1 <46>). Ebenso wird das Oberlandesgericht die verfassungsrechtlichen Bewertungsmaßstäbe in den Blick zu nehmen haben, die bei der Weitergabe von höchstpersönlichen Akteninhalten an die Dienstbehörde zu beachten sind (vgl. schon BVerfGE 27, 344 <352 ff.>).
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