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Bundesdisziplinargesetz: Anwesenheits- und Fragerecht des Beamten

Der Beamte ist zu allen Vernehmungen und zu vielen anderen Beweiserhebungen einzuladen, er hat dann auch Frage- und Antragsrechte. Aber was machen Sie, wenn Sie zu Unrecht von der Beweisaufnahme ausgeschlossen werden. Können Sie dann Ihre Anwesenheit gerichtlich anordnen lassen?
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg sagt: "nein"!

Im behördlichen Disziplinarverfahren werden Sie unter Umständen auf unerfahrene oder unwillige oder auf solche Ermittlungsführer treffen, die ihre Unsicherheit in Verfahrensfragen durch betonte Strenge überspielen wollen. Das Fragerecht des Beamten und seines Bevollmächtigten (beide m/w/d) wird nicht von jedem Ermittlungsführer geschätzt. Da werden Sie dann schnell belehrt, Ihre Fragen seien nicht sachdienlich. Heftiger Streit lohnt sich in dieser Situation nicht unbedingt. Wichtig ist es aber, Fragen und Ablehnung wörtlich protokollieren zu lassen. Freilich wird auch das bisweilen verweigert.
Dann hilft vielleicht eine Dienstaufsichtsbeschwerde?


Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Beschluss vom 26.08.10 - OVG 80 DB 2.10 -

Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt eine Änderung des angefochtenen Beschlusses nicht.

Nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO (i.V.m. § 67 Abs. 1 BDG, § 41 DiszG Bln) muss die Beschwerdebegründung die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur die dargelegten Gründe. Bezogen auf den hiernach durch das Beschwerdevorbringen begrenzten Prüfungsstoff hat das Verwaltungsgericht den Antrag, den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, die Teilnahme des Antragstellers an Zeugenvernehmungen im Rahmen des gegen ihn geführten Disziplinarverfahrens uneingeschränkt zuzulassen, nach der hier allein vorzunehmenden summarischen Prüfung zu Recht abgelehnt. Es ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei den Entscheidungen der Ermittlungsführerin nach § 24 Abs. 4 Satz 2 DiszG Bln, den Antragsteller von der Teilnahme an Zeugenvernehmungen auszuschließen, um Verfahrenshandlungen im Sinne von § 44 a VwGO handelt, gegen die ein isoliertes Rechtsmittel nicht eröffnet ist.

Den rechtlichen Ansatz, die Anwendbarkeit des § 44 a VwGO auf den Fall des Ausschlusses von der Teilnahme an Zeugenvernehmungen nach § 24 Abs. 4 Satz 2 DiszG Bln, greift das Beschwerdevorbringen nicht an. Der Antragsteller sieht jedoch die Entscheidungen als ausnahmsweise anfechtbar an, da es sich um eine verbindliche Regelung seiner materiell-rechtlichen Rechtspositionen handele und eine Verweisung auf den Rechtsschutz in der Hauptsache bzw. gegen die abschließende Behördenentscheidung für ihn unzumutbar sei. Der Ausschluss nehme ihm die Möglichkeit der Mitwirkung an der Sachaufklärung und verstoße gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.
Das überzeugt nach summarischer Prüfung nicht.
Nach § 44 a VwGO können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden, es sei denn, die behördlichen Verfahrenshandlungen können vollstreckt werden oder ergehen gegen einen Nichtbeteiligten. Dass diese Ausnahmen hier einschlägig sein könnten, macht auch die Beschwerde nicht geltend. Im Hinblick auf die Gewährleistung effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG ist eine Verfahrenshandlung aber über diese Fallgruppen hinaus ausnahmsweise auch dann isoliert anfechtbar, wenn der Ausschluss einer gerichtlichen Überprüfung der Verfahrenshandlungen für den Rechtssuchenden zu unzumutbaren Nachteilen führt, die in einem späteren Prozess nicht mehr vollständig zu beseitigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.10.1990 – 1 BvR 1028/90 –).
Der Antragsteller verkennt, dass mit seinem Ausschluss von der Teilnahme an der Zeugenvernehmung bereits keine verbindliche endgültige Regelung getroffen wird. Er kann sich im disziplinargerichtlichen Hauptsacheverfahren sowohl gegen die Beweiserhebung als auch gegen das Beweisergebnis wenden. Die Beweiserhebung nach § 24 DiszG Bln hat insbesondere nicht die Aufgabe, unmittelbar gerichtsverwertbare Entscheidungsgrundlagen herbeizuschaffen. Vielmehr haben die Gerichte aufgrund des § 41 DiszG Bln i. V. m. § 58 BDG selbst die Pflicht, in strittigen Tatsachenfragen Beweise zu erheben und grundsätzlich die Beweiserhebungen nicht durch die Verwertung der Beweisergebnisse des behördlichen Disziplinarverfahrens zu ersetzen. Dies umfasst die Beurteilung des Erinnerungsvermögens von Zeugen und folglich der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben. Dies gilt unabhängig davon, ob die Zeugen bereits im behördlichen Verfahren vernommen worden sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.02.10 – 2 B 62.09 –...). Daher greifen die Einwände, dem Antragsteller sei die Möglichkeit genommen, im Rahmen der Zeugenvernehmung direkte Fragen zu stellen, ggfs. unzulässige Fragen zu beanstanden und die Richtigkeit des Protokolls zu prüfen, zu kurz. Diese Möglichkeiten stehen ihm im Hauptsacheverfahren offen. Ein unzumutbarer Nachteil, der im späteren Prozess nicht mehr zu beseitigen wäre, ergibt sich hieraus nicht.

Soweit der Antragsteller es als unzumutbar ansieht, die Abschlussentscheidung abzuwarten und sich erst dann gegen diese zu wenden, da sein Ziel darauf gerichtet sei, eine negative Abschlussentscheidung zu verhindern, steht dem die Regelung des § 44 a VwGO entgegen, wonach dem Betroffenen nach der gesetzlichen Intention, vorbehaltlich der o.g. Ausnahmen, regelmäßig zugemutet wird, zunächst die Abschlussentscheidung abzuwarten. Der Zweck der Regelung besteht darin, die Sachentscheidung nicht durch Rechtsstreitigkeiten über Verfahrenshandlungen zu verzögern oder zu erschweren (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.03.1997 – 11 VR 2.97 –). Da die zur Verhängung einer Disziplinarmaßnahme führende Abschlussentscheidung (§§ 33, 34 DiszG Bln) der gerichtlichen Kontrolle unterliegt und im gerichtlichen Verfahren auch die Rechtmäßigkeit des behördlichen Disziplinarverfahrens überprüft wird, zudem die Verfahrenshandlungen auch nicht in sonstige grundrechtlich geschützte subjektive Rechtsstellungen des Antragstellers eingreifen, wie dies beispielsweise bei einer gesondert erzwingbaren ärztlichen Untersuchung der Fall sein kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.08.1992 – 6 B 33.92 – und VGH München, Beschluss vom 16.03.09 – 3 CS 08.3414 –), führt eine negative Abschlussentscheidung als solche nicht zu einer Unzumutbarkeit der Verweisung auf den Rechtsschutz in der Hauptsache. Damit nimmt die gesetzliche Regelung auch in Kauf, dass durch bloßen Zeitverlust bei Zeugen und Betroffenen Erinnerungsschwierigkeiten auftreten können. Dem kann jedoch durch Fertigung von Aufzeichnungen entgegengewirkt werden. Zudem ist der Prozessvertreter des Antragstellers von der Teilnahme an den Zeugenvernehmungen nicht ausgeschlossen, und der Antragsteller erhält zeitnah die Vernehmungsprotokolle.
Ein Abwarten der Abschlussentscheidung stellt sich auch nicht als unzumutbar für den Antragsteller dar, weil eine vorläufige Dienstenthebung und ein Einbehalten von Bezügen drohe, mithin Entscheidungen von besonderer Bedeutung. Denn die sich hieraus ergebenden Folgen können in einem späteren Prozess – im Falle des Obsiegens – beseitigt werden (vgl. Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 15.07.10 – VG 80 K 12.10 OL – zur Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung und Einbehaltung von Teilen der Dienstbezüge des Antragstellers).
Dahinstehen kann danach, ob der von der Ermittlungsführerin nach § 24 Abs. 4 Satz 2 DiszG Bln verfügte Ausschluss des Antragstellers von den Zeugenvernehmungen in der Sache gerechtfertigt ist. Diese Frage bleibt einem sich eventuell anschließenden Hauptsacheverfahren vorbehalten.


Wir haben großen Bedenken gegen diese Entscheidung, die uns unter folgenden Gesichtspunkten "weltfremd" erscheint:
Es ist eine "schöne", aber eben "weltfremde" Auffassung, dass sich die Mängel einer Zeugenaussage, die sich deshalb ergeben, weil der Betroffene selbst an der Vernehmung nicht teilnehmen konnte, später in gerichtlichen Verfahren ausbügeln lassen. Vernehmungen formen sich durch Interaktion, Zeugen müssen ihre Glaubhaftigkeit durch kritische Fragen überprüfen lassen.
Fehlt diese kritische Stimme während der ersten Vernehmung, dann entstehen Vernehmungsprotokolle, die im weiteren Verlauf des Verfahrens gelesen und ernst genommen werden. Auf solche Protokolle gründen sich Entscheidungen, sofern es nicht mehr zu gerichtlichen Verfahren und zu Nachvernehmungen kommt. Und man glaube bitte nicht, dass Zeugen stets bereit seien, einmal protokollierte Aussagen später zu verändern.
Außerdem ist es notwendig, wenn dies einmal so deutlich formuliert werden darf, den Damen und Herren Ermittlungsführern deutlich zu machen, dass sie die Beteiligungsrechte ernst zu nehmen haben.
Wir müssen hier die Praxis mit dem Recht erst noch in Einklang bringen, Verstöße sind noch zu häufig.

Allerdings ist andererseits einzuräumen: Die Mehrzahl der Ermittlungsführer ist sehr kompetent.
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