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Dienstunfall des Beamten / Anordnung ärztlicher Untersuchung

Rechtsprechung

Sofern es um Fragen der Dienstunfähigkeit und einer eventuellen Versetzung in den Ruhestand geht, muss die dem Beamten erteilte Anordnung, sich untersuchen zu lassen, bestimmten Anforderungen genügen.
Hier nur ein Beispiel aus der jüngeren Rechtsprechung für die wohl herrschende Meinung, dass im Rahmen der Untersuchung von Dienstunfallfolgen erleichterte Bedingungen gelten.

Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.01.17 - OVG 4 S 43.16 -

Leitsatz
Die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten inhaltlichen und formellen Anforderungen an amtsärztliche Untersuchungsanordnungen, die die Feststellung der Dienstunfähigkeit betreffen (vgl. Urteil vom 26.04.12 - 2 C 17.10 -), sind nicht auf Untersuchungsanordnungen zur Überprüfung des Fortbestehens von Unfallfolgen übertragbar.

Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 4.11.16 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt die Antragstellerin.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vom Rechtsbehelf vorgebrachten Gründe rechtfertigen eine Änderung des angefochtenen Beschlusses nicht. Nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerdebegründung die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur die dargelegten Gründe. Gemessen an dem hiernach durch den Beschwerdevortrag begrenzten Prüfungsstoff hat das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragstellerin, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sie von der Wahrnehmung der mit Schreiben vom 27.07.16 angeordneten ärztlichen Untersuchung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache freizustellen, zu Recht abgelehnt.
Die Annahme des Verwaltungsgerichts, die im Schreiben vom 27.07.16 ausgesprochene Aufforderung an die Antragstellerin, sich zur Klärung des Fortbestehens von Dienstunfallfolgen des Dienstunfalls am 2. Oktober 2009 und einer damit einhergehenden Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 v.H. amtsärztlich untersuchen zu lassen, sei nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung rechtmäßig, wird von der Beschwerde nicht mit schlüssigem Gegenvorbringen erschüttert.
Das Verwaltungsgericht hat offen gelassen, ob als Grundlage der Untersuchungsanordnung § 35 Abs. 3 Satz 1 LBeamtVG herangezogen werden könne, obwohl Ruhestandsbeamte – wie die Antragstellerin – in dieser Vorschrift nicht ausdrücklich genannt würden. Es hat darauf abgestellt, dass eine Untersuchungspflicht des Ruhestandsbeamten jedenfalls aus der beamtenrechtlichen Treuepflicht folge, der er unterliege, wenn er neben dem Ruhegehalt Unfallfürsorgeleistungen wie den Unfallausgleich nach § 35 Abs. 1 Satz 1 LBeamtVG erhalte. Bestünden Anhaltspunkte dafür, dass der Ruhestandsbeamte Unfallausgleichsleistungen möglicherweise dem Grunde oder der Höhe nach zu Unrecht erhalte, sei er verpflichtet, an der Aufklärung der entstandenen Zweifel mitzuwirken. Denn es ergebe sich bereits aus dem Wortlaut von § 35 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG („solange dieser Zustand andauert“), dass ein Ruhestandsbeamter grundsätzlich keinen Anspruch darauf habe, einmal bewilligte Unfallausgleichsleistungen auf Dauer zu erhalten. Gegen diesen rechtlichen Ausgangspunkt wendet sich die Beschwerde nicht.
Die Rüge der Antragstellerin, die im Schreiben vom 27.07.16 enthaltene Untersuchungsaufforderung entspreche nicht den Mindestanforderungen an eine Anordnung einer ärztlichen Untersuchung, die das Bundesverwaltungsgericht erstmals mit Urteil vom 26.04.12 – 2 C 17.10 – präzisiert und mit nachfolgenden Entscheidungen konkretisiert habe, ist nicht berechtigt. Diese Anforderungen hat das Bundesverwaltungsgericht in Bezug auf Untersuchungen entwickelt, die die Feststellung der Dienstunfähigkeit betreffen und im Anschluss daran ggf. die Grundlage für eine Zurruhesetzung bilden (vgl. in Berlin: § 39 Abs. 1 Satz 2 LBG i.V.m. § 26 BeamtStG). In diesen Fällen hat die behördliche Anordnung mit der daran anknüpfenden Beendigung der aktiven Dienstzeit durch die Zurruhesetzungsverfügung "erhebliche Folgen" und muss daher nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besonderen inhaltlichen und formellen Anforderungen genügen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.04.12 – 2 C 17.10 – juris Rn. 16 ff.). Um eine solche Feststellung der Dienstunfähigkeit vor einer möglichen Zurruhesetzung geht es hier indessen nicht. Die "erheblichen Folgen", die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Fall einer Untersuchung, die die Feststellung der Dienstunfähigkeit betreffen, wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit die Einhaltung der besonderen Anforderungen verlangen, stehen bei Untersuchungen zur Klärung des Fortbestehens von Dienstunfallfolgen nicht im Raum.
Zwar muss ein Beamter bzw. Ruhestandsbeamter, wenn er eine Anordnung zur amtsärztlichen und insbesondere fachpsychiatrischen Untersuchung befolgt, erhebliche Eingriffe in sein Recht aus Art. 2 Abs. 2 GG wie auch in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht hinnehmen (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 17). Jedoch sind bei der hier in Rede stehenden Überprüfung des Fortbestehens von Dienstunfallfolgen die Folgen, die einem Beamten drohen, wenn er entweder die Untersuchung verweigert oder sich der angeordneten Untersuchung unterzieht, obwohl die Anordnung rechtswidrig gewesen ist, nicht vergleichbar mit den möglichen Folgen im Fall einer Untersuchungsanordnung zur Feststellung der Dienstunfähigkeit. Sollte die mit Bescheid vom 10. Oktober 2011 zuerkannte Minderung der Erwerbsfähigkeit auf 30 v.H. in Folge einer verweigerten oder durchgeführten amtsärztlichen Nachuntersuchung geändert oder aufgehoben werden, könnte dies schlimmstenfalls dazu führen, dass der der Antragstellerin gewährte Unfallausgleich in Höhe von zuletzt 138 Euro entfällt (vgl. 35 Abs. 1 Satz 2 LBeamtVG i.V.m. § 31 Abs. 1 BVG). In den vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fällen kann hingegen die Weigerung des Beamten, sich der Untersuchung zu unterziehen, nach dem Rechtsgedanken des § 444 ZPO im Verfahren zur Feststellung der Dienstunfähigkeit zu dessen Lasten verwendet bzw. ein auf Grundlage einer rechtswidrigen Untersuchungsaufforderung erstelltes Gutachten berücksichtigt werden jeweils mit der möglichen Folge, dass es zu einer insoweit rechtlich nicht mehr angreifbaren Zurruhesetzung des betroffenen Beamten kommt.
Unabhängig hiervon kann und konnte die Antragstellerin mit Blick auf den ihr im Schreiben vom 27.07.16 mitgeteilten Grund für die angeordnete amtsärztliche Untersuchung, zu klären, ob die aufgrund des von ihr am 2. Oktober 2009 erlittenen Dienstunfalls anerkannten Dienstunfallfolgen weiterhin bestehen und mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 30 v.H. einhergehen, nicht darüber im Unklaren sein, welcher Anlass für die Untersuchungsanordnung besteht und wie Art und Umfang der amtsärztlichen Untersuchung beschaffen sein werden. In dem ihr gegenüber ergangenen Bescheid vom 10. Oktober 2011 setzte die Justizvollzugsanstalt Tegel eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 v.H. fest und erkannte einen Unfallausgleich zu. Die Begründung dieses Bescheides enthielt eine wörtliche Wiedergabe der amtsärztlichen Stellungnahme der Zentralen Medizinischen Gutachtenstelle (ZMGA) beim Landesamt für Gesundheit und Soziales vom 11.04.11, die nach amtsärztlicher Untersuchung der Antragstellerin am 7. Oktober 2010 und nach Einholung des fachpsychiatrischen Zusatzgutachtens vom 6.12.10 erstellt wurde und eine auf das Unfallereignis zurückzuführende posttraumatische Belastungsstörung sowie eine „psychische Agitiertheit, akute Angst und Schockreaktion bei Zustand nach schwerem tätlichen Angriff, Panikstörung, Ein- und Durchschlafstörung“ attestierte. Diese der Antragstellerin bekannten Zusammenhänge, auf die sich der Antragsgegner in der angefochtenen Untersuchungsanordnung der Sache nach bezieht, verdeutlichen ohne Weiteres, dass die nunmehr beabsichtigte medizinische Nachuntersuchung zur Überprüfung des Fortbestehens von Dienstunfallfolgen inhaltlich nach Art und Umfang der im Vorfeld der amtsärztlichen Stellungnahme vom 11.04.11 durchgeführten amtsärztlichen und fachpsychiatrischen Untersuchung der Antragstellerin entsprechen (bzw. jedenfalls nicht darüber hinausreichen) wird.
Entgegen dem Beschwerdevorbringen entspricht es auch nicht der Rechtsprechung des Senats, die Maßstäbe, die das Bundesverwaltungsgericht für Untersuchungsaufforderungen im Vorfeld einer beabsichtigten Zurruhesetzung wegen dauernder Dienstunfähigkeit formuliert hat, ebenfalls auf ärztliche Untersuchungsanordnungen in anderen Fallkonstellationen zu übertragen. In dem – von der Beschwerde inhaltlich unzutreffend wiedergegebenen – Beschluss vom 21. Oktober 2015 – OVG 4 S 32.15 – hat der Senat nicht etwa angenommen, dass die genannten Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts für eine andere Fallkonstellation ebenfalls gälten. Im Gegenteil hat der Senat in dieser Entscheidung in einem obiter dictum ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Maßstäbe, die das Bundesverwaltungsgericht für Untersuchungsaufforderungen im Vorfeld einer beabsichtigten Zurruhesetzung wegen dauernder Dienstunfähigkeit formuliert hat, für eine andere als die vom Senat im dortigen Verfahren zu beurteilende Fallkonstellation einer Überprüfungsanordnung nach § 59 Abs. 1 Satz 3 LBG gelten (BA S. 7). Auch in seinen Entscheidungen vom 11.04.14 – OVG 4 S 9.14 – (BA S. 6) und vom 16. August 2016 – OVG 4 S 19.16 – (BA S. 3) hat der Senat darauf hingewiesen, dass die bereits zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Untersuchungsanordnungen im Vorfeld der Zurruhesetzung von Beamten wegen Dienstunfähigkeit betreffe und die vom Senat zu entscheidenden Fälle (Anordnung der amtsärztlichen Überprüfung privatärztlicher Atteste nach § 59 Abs. 1 Satz 3 LBG bzw. Untersuchungsanordnungen im Rahmen von Reaktivierungsverfahren nach § 44 Abs. 3 Satz 1 LBG) auch nicht mit den vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fällen vergleichbar seien.
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