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Kein Dienstunfall während Umtrunks unter Kollegen in den Diensträumen

Die nachstehende Entscheidung befasst sich mit der nicht immer einfachen Abgrenzung zwischen dienstlicher Verrichtung und privater Lebensführung.

Es geht um die Durchführung einer Feier im Kollegenkreis.
Wir würden der Entscheidung den folgenden Leitsatz voranstellen:
Die Übung, anlässlich des Dienstantritts, eines Geburtstages, der Geburt eines Kindes oder aus einem ähnlichen Anlass „einen auszugeben", dient nicht in erster Linie dienstlichen Zwecken, sondern entspricht der sozialen Üblichkeit.
Oder, aus der Juristensprache übersetzt: Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps.

Oberverwaltungsgericht NRW, Beschluss vom 17.02.06, 1 A 1268 / 04

Die Anerkennung eines Dienstunfalles wird abgelehnt.


Der Kläger richtete während der Dienstzeit in seinem Dienstzimmer für seine Arbeitskollegen einen Imbiss aus. Anlass waren die Geburt seines Sohnes und sein Einstand in der Dienststelle. Nach Ende der Feierlichkeiten stellte er den aus diesem Anlass beiseite gestellten Schreibtisch an seinen ursprünglichen Platz zurück. Hierbei zog er sich einen Bandscheibenvorfall zu.
Seinen Antrag, dieses Ereignis als Dienstunfall anzuerkennen, lehnte die Beklagte ab.
Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen: Das Zurückstellen des Schreibtisches sei untrennbar mit dem vom Kläger ausgerichteten Imbiss verbunden. Dieser Imbiss stelle sich nicht als dienstliche Veranstaltung im Sinne des Beamtenversorgungsgesetzes dar. „Dienstlich" im Sinne dieses Gesetzes sei eine Veranstaltung nur dann, wenn sie sowohl formell als auch materiell dienstbezogen sei. Daran fehle es.

a) Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG kann ein Ereignis nur dann als Dienstunfall („in Ausübung oder infolge des Dienstes") anerkannt werden, wenn die Tätigkeit, bei der sich der Unfall ereignet hat, der dienstlichen Sphäre des Beamten zuzurechnen ist. § 31 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG regelt für bestimmte Tätigkeiten ausdrücklich, dass der erforderliche dienstliche Zusammenhang gegeben ist, und ist gegenüber § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG - bezogen auf den Zusammenhang zwischen der Tätigkeit, bei der sich ein Unfall ereignet hat, und der (eigentlichen) dienstlichen Tätigkeit - das speziellere Gesetz.
Folglich würde sich die Frage, ob der Imbiss als dienstliche Veranstaltung anzuerkennen ist, dann nicht stellen, wenn das Zurückstellen des Schreibtisches schon unmittelbar der (eigentlichen) dienstlichen Tätigkeit des Klägers zuzurechnen wäre. Indes hat das Verwaltungsgericht zu Recht entschieden, dass das Zurückstellen des Schreibtisches auf seinen ursprünglichen Platz bei wertender Betrachtung der Ausrichtung des Imbisses und nicht den (eigentlichen) dienstlichen Aufgaben des Klägers zuzurechnen ist. Etwas anderes ergibt sich - ebenso wenig wie für die Durchführung des Imbisses - insbesondere nicht schon daraus, dass der Kläger den Schreibtisch während der Dienstzeit zurückgestellt hat und er sich bei dieser Tätigkeit in den Diensträumen befand. Diese Umstände mögen im Normalfall den erforderlichen Zusammenhang mit der (eigentlichen) dienstlichen Tätigkeit indizieren, entbinden aber nicht von der Prüfung, ob dieser Zusammenhang aus anderen Gründen ausscheidet und schließen die Verneinung dieses Zusammenhangs auch nicht aus.

Die Vorbereitungen für den Imbiss, seine Durchführung und das Aufräumen danach stellen sich ... als Einheit dar. Zwar diente das Zurückstellen des Schreibtisches nicht nur der Wiederherstellung des vor dem Imbiss bestehenden Zustandes, sondern auch der Wiederaufnahme der dienstlichen Tätigkeit. Allein aus Letzterem lässt sich der erforderliche Zusammenhang zwischen dem Zurückstellen des Schreibtisches und den (eigentlichen) dienstlichen Aufgaben des Klägers indes nicht herleiten. Dient eine Tätigkeit mehreren Zwecken, ist aufgrund einer rechtlichen Wertung zu bestimmen, welcher Zweck den Schwerpunkt bildet. Im vorliegenden Fall tritt die Zweckbestimmung „Wiederaufnahme der dienstlichen Tätigkeit" gegenüber der Zweckbestimmung „Wiederherstellung des vor dem Imbiss bestehenden Zustandes" bei wertender Betrachtungsweise zurück. Dies ergibt sich daraus, dass der Schreibtisch allein zur Ausrichtung des Imbisses von seinem ursprünglichen Platz entfernt worden war.

Der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Stadien (Vorbereitung, Durchführung, Aufräumen) wird entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht deswegen durchbrochen, weil er zwischen der Beendigung des Imbisses und dem Zurückstellen seines Schreibtisches dienstliche Telefonate geführt hat. Hierin liegt insbesondere in zeitlicher Hinsicht keine Zäsur, die den Zurechnungszusammenhang entfallen ließe. Wie lange er telefoniert hat, hat der Kläger nicht dargelegt, jedoch hat er seinen Schreibtisch noch am selben Tag zurückgestellt. Das Zurückstellen des Schreibtisches stellt sich selbst bei einem zeitlichen Abstand von einigen Stunden zur Beendigung des Imbisses als schwerpunktmäßig der Wiederherstellung des vorherigen Zustandes dienend dar.

Ob der Schreibtisch vor Beginn des Imbisses vom Kläger selbst oder von einem seiner Arbeitskollegen beiseite gestellt wurde, ist rechtlich unerheblich. Entscheidend ist allein der Zweck, zu dem dies erfolgte. Auch der Kläger hat nicht bestritten, dass der Schreibtisch allein aus Anlass des Imbisses verstellt wurde.

Den Gründen für die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit kommt bei der Entscheidung der Frage, ob eine Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Dienst steht, ganz allgemein große Bedeutung zu. Ob der gesetzlich geforderte Zusammenhang vorliegt, bestimmt sich nämlich nach der Handlungstendenz des Beamten, wie sie sich im äußeren Erscheinungsbild einer Tätigkeit manifestiert.

b) Dem Verwaltungsgericht ist auch darin beizupflichten, dass der Imbiss, den der Kläger für seine Kollegen gegeben hat, keine dienstliche Veranstaltung i. S. d. § 31 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BeamtVG ist. Dienstlich im Sinne dieser Norm ist eine Veranstaltung, wenn sie materiell und formell dienstbezogen ist,
vgl. BVerwG, Urteil vom 14.12.04 - 2 C 66.03 -, NVwZ-RR 2005, 422.

Bezüglich des Imbisses fehlt es an beiden Voraussetzungen.

aa) Für die materielle Dienstbezogenheit kommt es entscheidend auf den Zusammenhang der Veranstaltung mit den eigentlichen Dienstaufgaben und dabei wiederum wesentlich darauf an, ob die Veranstaltung dienstlichen Interessen dient. Dabei ist darauf abzustellen, ob die Veranstaltung und die damit verbundenen und mit der Erledigung der eigentlichen Dienstaufgaben nicht unmittelbar zusammenhängenden Tätigkeiten und Verrichtungen (mittelbar) geeignet sind und dazu dienen, die Bewältigung der eigentlichen Dienstaufgaben zu fördern. Bei dieser Prüfung kann auch von Belang sein, ob die Veranstaltung der Erfüllung des dienstlichen Gesamtauftrages der Behörde oder eines organisatorisch zusammengefassten Teils einer Behörde, dem intern und nach außen reibungslosen Ablauf der Dienstgeschäfte, der Pflege des sogenannten Betriebsklimas und dergleichen dient und zu dienen bestimmt ist. Das dienstliche Interesse kann allerdings nicht schon dann bejaht werden, wenn die Veranstaltung irgendwie Zwecken der genannten Art förderlich ist. Für die Abgrenzung ist vielmehr entscheidend, ob die Veranstaltung ausschlaggebend einem solchen Zweck dient.

Auf die „Dienstüblichkeit" einer Veranstaltung kommt es nach diesen Grundsätzen nicht entscheidend an.

Dem Kläger ist darin zuzustimmen, dass ein Imbiss im Kollegenkreis geeignet ist, den kollegialen Zusammenhalt innerhalb der Dienststelle zu fördern. Er überschätzt jedoch den Stellenwert, den derartige Veranstaltungen für den kollegialen Zusammenhalt haben. Der gleiche Effekt - Stärkung der kollegialen Zusammenarbeit - ergibt sich nämlich auch aufgrund der alltäglichen Zusammenarbeit, dem gemeinsamen Verbringen von Arbeitspausen und dienstlichen Veranstaltungen wie Betriebsausflügen u.a. Außerdem reicht die Tatsache, dass eine Veranstaltung sich (auch) förderlich auf das Betriebsklima auswirkt, nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen nicht aus, um die materielle Dienstbezogenheit der Veranstaltung zu bejahen. Erforderlich ist danach vielmehr, dass die Veranstaltung ausschlaggebend einem dienstbezogenen Zweck dient. Dies ist bei der hier zu beurteilenden Feier indes nicht der Fall. Die Übung, anlässlich des Dienstantritts, eines Geburtstages, der Geburt eines Kindes oder aus einem ähnlichen Anlass „einen auszugeben", dient nicht in erster Linie dienstlichen Zwecken, sondern entspricht der sozialen Üblichkeit. ...
Dementsprechend sind von (einem) Bediensteten für Kollegen organisierte Veranstaltungen, sofern nicht besondere Umstände vorliegen, regelmäßig nicht der dienstlichen, sondern der privaten Sphäre zuzurechnen.


bb) Formell dienstbezogen ist eine Veranstaltung, wenn sie vom Dienstherrn in die dienstliche Sphäre einbezogen und damit unmittelbar oder mittelbar von der Autorität eines Dienstvorgesetzten des Beamten getragen und in den weisungsgebundenen Bereich einbezogen worden ist. Eine Veranstaltung kann auch dadurch formell in den dienstlichen Bereich einbezogen werden, dass sich der Dienstvorgesetzte eine fremde Veranstaltung zu eigen macht. Diese Entscheidung bedarf keiner bestimmten Form, sie muss auch nicht ausdrücklich ergehen. Es kommt vielmehr darauf an, ob dem objektiven Verhalten eines für den betroffenen Beamten zuständigen Dienstvorgesetzten unter Berücksichtigung aller erkennbaren Umstände eine solche Entscheidung zu entnehmen ist. Ob eine solche Entscheidung vorliegt, beurteilt sich demnach aufgrund der Umstände des jeweiligen Einzelfalles.

Hier fehlt es an einem objektiven Verhalten seitens des Dienstvorgesetzten bzw. eines anderen Vorgesetzten des Klägers, aufgrund dessen dieser annehmen durfte, der von ihm für seine Kollegen veranstaltete Imbiss sei in die dienstliche Sphäre einbezogen worden. Dies durfte er insbesondere weder aus der „Billigung" der Veranstaltung durch seinen Referatsleiter noch aus dessen Teilnahme am Imbiss schließen. Die Absprache einer derartigen Veranstaltung mit dem (unmittelbaren) Vorgesetzten dient der Vermeidung einer Kollision mit dienstlichen Belangen; die Teilnahme des Vorgesetzten entspricht der sozialen Üblichkeit. Aus der Tatsache, dass derartige Veranstaltungen im Kollegenkreis „dienststellenüblich" waren, lässt sich ebenfalls nichts dafür herleiten, derartige Veranstaltungen seien in die dienstliche Sphäre einbezogen worden. Vielmehr lässt sich hieraus lediglich ableiten, dass ein der sozialen Üblichkeit entsprechendes Verhalten keinen Einschränkungen unterworfen werden sollte. Darüber hinaus gehende Schritte, die auf eine Einbeziehung derartiger Veranstaltungen in die dienstliche Sphäre schließen lassen, sind weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Insbesondere liegen keine Hinweise darauf vor, dass sich der Dienstherr an der Finanzierung derartiger Veranstaltungen beteiligt oder diese anderweitig unterstützt hat, Bedienstete zur Teilnahme an derartigen Veranstaltungen ermutigt worden wären o.ä. ...


Ähnlich auch Bundessozialgericht, Urteil vom 26.06.14 - B 2 U 7/13 R -, NJW 2015, 1407 f.:
Eine von den Beschäftigten selbst veranstaltete Weihnachtsfeier steht nur dann unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn sie von der Betriebsleitung selbst oder einer von ihr hierzu ermächtigten oder hiermit beauftragten Person angeordnet wird.
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