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Besitz kinderpornographischer Bilddateien: Entfernung aus dem Dienst?

Lange zurückliegende Tat / Soldat



BVerwG, Urteil vom 19. Juni 2019 - BVerwG 2 WD 21.18

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3. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb zu gewährleisten. Ziel des Wehrdisziplinarrechts ist es, die Integrität, das Ansehen und die Disziplin in der Bundeswehr aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen (BVerwG, Urteil vom 11. Juni 2008 - 2 WD 11.07 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 Rn. 23 m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen. Im Einzelnen geht der Senat von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:

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a) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als "Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen". Dabei entspricht es der Rechtsprechung des Senats, dass im Hinblick auf die Schwere und die disziplinare Einstufung von Fehlverhalten, das den Besitz kinder- und jugendpornographischer Dateien zum Gegenstand hat, Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen eine nach außen sichtbare Disziplinarmaßnahme bildet. Sie besteht regelmäßig in einer Herabsetzung im Dienstgrad (BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2018 - 2 WD 10.18 - Rn. 39 m.w.N.).
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Der Gesetzgeber hat die Besitzverschaffung und den Besitz kinder- und jugendpornographischer Darstellungen in § 184b Abs. 4 und § 184c Abs. 4 StGB 2008 unter Strafe gestellt, um das Schaffen und Aufrechterhalten eines Marktes mit kinderpornographischen Darstellungen schon im Ansatz zu verhindern. Er hat den "Konsumenten" von Kinderpornographie damit den Kampf angesagt und sein Unwerturteil über den Besitz kinderpornographischer Darstellungen ausgedrückt. Kinderpornographische Darstellungen machen die kindlichen "Darsteller" zum bloßen Objekt geschlechtlicher Begierde oder Erregung und verstoßen gegen die unantastbare Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG. Der darin liegende sexuelle Missbrauch eines Kindes oder Jugendlichen ist in hohem Maße persönlichkeits- und sozialschädlich, greift in die sittliche Entwicklung eines jungen Menschen ein und gefährdet die harmonische Entwicklung seiner Gesamtpersönlichkeit sowie seine Einordnung in die Gemeinschaft, da das Kind bzw. der Jugendliche wegen seiner fehlenden bzw. noch nicht hinreichenden Reife intellektuell und gefühlsmäßig das Erlebte in der Regel gar nicht oder nur schwer verarbeiten kann (BVerwG, Urteil vom 2. Mai 2012 - 2 WD 14.11 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 36 Rn. 21).
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Kommt zu dem Besitz kinderpornographischer Dateien ein Verbreiten, ein Verschaffen oder ein Zugänglichmachen für Dritte hinzu, sieht § 184b Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 StGB 2004 mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren eine deutlich höhere Sanktion vor. Denn die aktive Beteiligung am kinderpornographischen Marktgeschehen als Anbieter stellt im Regelfall ein wesentlich höheres Unrecht dar als die eher passive Beteiligung als nachfragender Konsument. Diese strafrechtliche Wertung ist auch für die disziplinarrechtliche Würdigung leitend. Die Orientierung am gesetzlichen Strafrahmen gewährleistet eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarische Ahndung. Sie verhindert, dass die Wehrdienstgerichte ihre jeweils eigene Einschätzung des Unwertgehalts eines Delikts oder die Einschätzung der Wehrdisziplinaranwaltschaft an die Stelle der Bewertung des Gesetzgebers setzen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. April 2019 - 2 B 32.18 - juris Rn. 16). Im Fall des Verbreitens, Verschaffens und Zugänglichmachens wird das Fehlverhalten so gravierend, dass der Soldat im Allgemeinen für die Bundeswehr untragbar wird und dass er nur in minderschweren Fällen oder bei Vorliegen besonderer Milderungsgründe in seinem Dienstverhältnis verbleiben kann. Der höhere Sanktionsrahmen greift beim Zugänglichmachen auch, wenn ein tatsächlicher Zugriff eines Dritten - wie vorliegend - nicht festgestellt worden ist (BVerwG, Urteile vom 2. Mai 2012 - 2WD 14.11 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 36 Rn. 37 und vom 5. Juli 2018 - 2 WD 10.18 - Rn. 39). Damit bildet die Entfernung aus dem Dienstverhältnis hier den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen.
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b) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im Hinblick auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die die Möglichkeit einer Milderung oder die Notwendigkeit einer Verschärfung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme eröffnen. Ist die Höchstmaßnahme Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen, muss vor allem anhand der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie dessen Auswirkungen geklärt werden, ob im Hinblick auf die be- und entlastenden Umstände ein niedrigerer Schweregrad vorliegt und ob die zu verhängende Disziplinarmaßnahme deswegen nach "unten" zu modifizieren ist. Je schwerer das Dienstvergehen wiegt, desto gewichtiger müssen allerdings auch die Milderungsgründe sein, die es gebieten, von einer an sich veranlassten Höchstmaßnahme abzusehen (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. März 2013 - 2 WD 15.11 - juris Rn. 43 und vom 20. Februar 2014 - 2 WD 35.11 - juris Rn. 95). Solche Umstände von erheblich milderndem Gewicht liegen im vorliegenden Fall darin, dass das strafbare Zugänglichmachen kinderpornographischer Schriften bereits sehr lange zurückliegt und der Soldat sich nach seinem nicht widerlegbaren Vorbringen den Besitz der kinder- und jugendpornographischen Dateien in nur eingeschränkt schuldfähigem Zustand verschafft hat.
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aa) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens wiegen allerdings außerordentlich schwer, weil durch einen Soldaten in Vorgesetztenstellung eine zentrale Dienstpflicht in gravierender Weise verletzt wurde. Der Soldat hat durch sein außerdienstliches und kriminelles Verhalten die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordert, entgegen § 17 Abs. 2 Satz 3 SG ernsthaft erschüttert. Er hat in strafbarer Weise 137 kinder- und 14 jugendpornographische Dateien besessen und durch das Zugänglichmachen kinderpornographischer Dateien die Verwerflichkeit seines Verhaltens erhöht. Dass bei ihm im Oktober 2014 nicht nur eine geringe Zahl strafbarer Dateien gefunden worden ist, lässt darauf schließen, dass er nicht nur bei einer Gelegenheit Kinder- und Jugendpornographie aus dem Internet heruntergeladen, sondern wiederholt gehandelt hat.
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Es stellt allerdings einen erheblichen Milderungsgrund in der Schwere der Tat dar, dass das angeschuldigte Zugänglichmachen kinderpornographischer Bilder und Videos bereits sehr lange zurückliegt. Die einschlägigen Dateien in dem Ordner "My Shared Folder" wurden zuletzt im Januar 2005 aufgerufen, also mehr als neun Jahre vor der Hausdurchsuchung. Daher hat auch das Amtsgericht … den sachgleichen Strafbefehl gegenüber dem Soldaten nur auf den strafbaren Besitz kinder- und jugendpornographischer Bilder und Videos gestützt. Zwischenzeitlich war die strafrechtliche Verfolgungsverjährung nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB eingetreten. Dies hindert zwar eine disziplinarrechtliche Ahndung nicht. Denn § 17 WDO enthält für den Bereich des Wehrdisziplinarrechts eine eigene, nicht auf die strafrechtlichen Regelungen verweisende "Verjährungsregelung".
Danach schließt ein Zeitablauf von mehr als fünf Jahren nur die Verhängung eines Beförderungsverbots und geringere Disziplinarmaßnahmen aus (§ 17 Abs. 2 bis 4 WDO). Hingegen kann auch eine zeitlich länger zurückliegende Pflichtverletzung Anknüpfungspunkt einer disziplinaren Ahndung sein; dies gilt insbesondere, wenn sie - wie hier - mit anderen Pflichtverletzungen durch den Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens verknüpft ist.
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Allerdings bedeutet dies nicht, dass dem Zeitablauf bei der Gewichtung der Schwere einer Pflichtverletzung keine Bedeutung zukommt. Insbesondere bei außerdienstlichen Dienstvergehen, die sich nicht gegen den Dienstherrn richten und in der Verletzung allgemeiner Strafrechtsnormen erschöpfen, besteht im Allgemeinen kein Grund dafür, einen strafrechtlich erheblichen längeren Zeitablauf nicht auch disziplinarrechtlich mildernd zu berücksichtigen. Mit zunehmendem Zeitablauf lässt in der Regel die Notwendigkeit nach, das Geschehen aus individual- oder generalpräventiven Gründen zur Aufrechterhaltung des Ansehens, der Integrität oder der Disziplin in der Bundeswehr zu ahnden. Da hier keine besonderen Umstände vorliegen, ist mildernd zu berücksichtigen, dass der zur Maßnahmeverschärfung führende Verbreitungstatbestand strafrechtlich verjährt ist und mehr als neun Jahre zurückliegt.
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bb) Auch die Prüfung des Maßes der Schuld führt zur Annahme eines minderschweren Falles. Zwar handelte der Soldat vorsätzlich. Seine Beweggründe waren eigennützig auf die Befriedigung seiner sexuellen Interessen gerichtet. Der Soldat hat selbst eingeräumt, dass er seine pädophilen Neigungen lange Zeit verdrängt und therapeutisch nicht aufgearbeitet hat. Allerdings kann ihm nicht widerlegt werden, dass er einen Großteil der Pflichtverletzungen im Zustand erheblich eingeschränkter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangen hat. Er hat sich von Anfang an dahingehend eingelassen, dass er sich die kinder- und jugendpornographischen Bilder und Videos nur im Zustand erheblicher Alkoholisierung beschafft und angesehen habe. Aufgrund seiner Alkoholerkrankung habe er zuletzt jeden Abend sechs bis neun Flaschen Bier getrunken.
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Es ist zwar nicht mehr aufklärbar, mit welchen Blutalkoholkonzentrationen der Soldat bei der Besitzverschaffung der einzelnen kinder- und jugendpornographischen Dateien oder beim Zugänglichmachen im Januar 2005 gehandelt hat und wie hoch die damit verbundene Einschränkung seiner Einsichts- und Steuerungsfähigkeit zum Zeitpunkt der einzelnen strafbaren Handlungen gewesen ist. Die Annahme einer durch eine krankhafte seelische Störung eingeschränkten Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB kann jedoch nicht schon mangels sicheren Nachweises abgelehnt werden. Denn entlastende Umstände sind nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" schon dann beachtlich, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist. Lässt sich nach erschöpfender Sachaufklärung ohne vernünftigen Zweifel ein Sachverhalt nicht ausschließen, der eine erheblich verminderte oder ausgeschlossene Schuldfähigkeit ergibt, ist dieser Gesichtspunkt zugunsten des Soldaten in die Gesamtwürdigung einzustellen (BVerwG, Urteile vom 12. März 2015 - 2 WD 3.14 - juris Rn. 69 und vom 19. Mai 2016 - 2 WD 13.15 - juris Rn. 44).
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Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Es steht fest, dass der Soldat im Oktober 2014 und in den Jahren davor an einer Alkoholerkrankung und damit an einer krankhaften seelischen Störung im Sinne von § 21 StGB gelitten hat. Darauf lässt schon der Umstand schließen, dass er seine Fahrerlaubnis erstmals 1998 wegen Trunkenheit im Straßenverkehr verloren hat und beim zweiten Verlust im Mai 2013 mit 2,1 Promille Alkohol in einer Verkehrskontrolle angehalten worden ist. Schließlich hat er im August 2015 im Bundeswehrkrankenhaus … eine mehrwöchige toxische Alkoholentziehungstherapie durchlaufen, der sich ab September 2015 eine mehrmonatige stationäre sozialmedizinische Suchttherapie im Diakonie-Krankenhaus … und von April 2016 bis September 2017 als Nachsorgemaßnahme eine entsprechende ambulante Verhaltenstherapie angeschlossen haben. In den Entlassungsberichten des Bundeswehr- und Diakonie-Krankenhauses wird übereinstimmend eine seit langem bestehende chronische Alkoholerkrankung diagnostiziert. Zum Verlauf der Alkoholerkrankung wird berichtet, dass der Soldat nach dem rückblickend wohl bereits durch Alkoholprobleme bedingten Scheitern einer ersten mehrjährigen Beziehung im Jahr 2008 seine Trinkmengen erheblich gesteigert habe. Eine zweite dreijährige Partnerschaft sei 2013 an seinem Alkoholproblem gescheitert. Der Soldat sei nicht mehr in der Lage gewesen, den Alkoholkonsum einzustellen. Stattdessen habe er an jedem Abend und jedem Wochenende zunehmend höhere Mengen konsumiert.
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Seine Angaben, dass er seine Alkoholsucht vorwiegend abends und an den Wochenenden ausgelebt habe, um seinen Beruf als Soldat weiter ausüben zu können, ist nicht zu widerlegen. Die Einlassung entspricht dem Umstand, dass der Soldat einerseits lange Zeit dienstlich unauffällig gewesen ist, andererseits aber im Freizeitbereich zweimal seine Fahrerlaubnis alkoholbedingt verloren hat. Da er bewusst in seiner Freizeit getrunken und in seiner Freizeit auch die kinderund jugendpornographischen Schriften beschafft und angesehen hat, ist nicht auszuschließen, dass dies - wie er vorträgt - unter erheblichem Alkoholkonsum geschehen ist. Dass er dabei seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit alkoholbedingt völlig eingebüßt hätte, wird von ihm nicht vorgetragen und ist angesichts der hohen Alkoholgewöhnung auszuschließen. Hingegen kann vernünftigerweise nicht ausgeschlossen werden, dass eine erhebliche alkoholbedingte Enthemmung für die Beschaffung der kinder- und jugendpornographischen Dateien mitursächlich gewesen ist.
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Bei alkoholbedingter Einschränkung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit "kann" das Wehrdienstgericht nach § 21 StGB eine mildere Maßnahme verhängen. Bei dieser richterlichen Ermessensentscheidung ist zugunsten des Betroffenen zu berücksichtigen, dass er aufgrund seiner Alkoholabhängigkeit seinen Alkoholkonsum nur eingeschränkt steuern kann und daher für eine dadurch verursachte Einschränkung der Steuerungsfähigkeit nicht voll verantwortlich ist (BGH, Urteil vom 27. Januar 2004 - 3 StR 479/03 - NStZ 2004, 495 Rn. 4; BVerwG, Urteile vom 4. Dezember 2014 - 2 WD 23.13 - juris Rn. 44 und vom 19. Mai 2016 - 2 WD 13.15 - juris Rn. 42). Besondere Umstände des Einzelfalls, die es rechtfertigen könnten, von dieser Regel abzuweichen, sind nicht ersichtlich. Vielmehr spricht im vorliegenden Fall für die Zuerkennung des Schuldminderungsgrundes, dass der Soldat mittlerweile wegen seiner Alkoholabhängigkeit eine Suchttherapie erfolgreich absolviert hat.
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cc) Die sonstigen Milderungsgründe in der Person und der dienstlichen Führung des Soldaten sind nicht von vergleichbar hohem Gewicht. Zwar ist dem Soldaten zugute zu halten, dass er während des Disziplinarverfahrens, soweit es ihm gesundheitlich möglich war, seinen Dienst konstant verrichtet und seine dienstlichen Leistungen ein wenig gesteigert hat. Der Durchschnittswert seiner aktuellen dienstlichen Beurteilung liegt um 0,2 Punkte über dem Durchschnittswert des Jahres 2014. Auch hat der Soldat mit 6,33 Punkten einen höheren Wertungsbereich erreicht. Eine Maßnahmemilderung wegen einer besonderen Nachbewährung während der Dauer des Disziplinarverfahrens setzt jedoch eine deutliche Leistungssteigerung voraus (BVerwG, Urteil vom 24. August 1999 - 2 WD 8.99 - BVerwGE 113, 376 <389>). Ein solches Gewicht erreicht die moderat-positive Leistungsentwicklung des Soldaten auch bei Berücksichtigung der Aussagen der beiden Leumundszeugen nicht.
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Für den Soldaten sprechen auch Unrechtseinsicht und Reue. Mit seiner Alkoholtherapie hat er einen wichtigen Schritt getan, in ein normales Berufsleben zurückzukehren. Dass er als Suchtberater seine Vorgesetzten unterstützt und ehrenamtlich Soldaten hilft, ist zusätzlich positiv zu würdigen. Die Alkoholtherapie genügt alleine jedoch nicht, eine erneute Straffälligkeit im Bereich der Kinder- und Jugendpornographie zu verhindern. Die psychotherapeutische Aufarbeitung seiner pädophilen Neigungen hat der Soldat zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung gerade erst angefangen. Dem kann daher nicht die erheblich maßnahmemildernde Bedeutung eines erfolgreichen Abschlusses einer Psychotherapie beigemessen werden (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 16. Juli 2017 - 2 WD 14.16 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 53 Rn. 41).
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dd) Im Ergebnis führen die Milderungsgründe dazu, dass von der Entfernung des Soldaten aus dem Dienstverhältnis abzusehen und auf die nächstmildere Maßnahmeart überzugehen ist. Dabei wäre im Hinblick auf die Schwere der Pflichtverletzungen an sich eine mehrstufige Degradierung bis in den Dienstgrad eines Feldwebels tat- und schuldangemessen (vgl. § 62 Abs. 1 Satz 3 WDO).
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c) Zusätzlich maßnahmereduzierend wirkt hier die unangemessene Dauer des Gerichtsverfahrens. Ein Verstoß gegen die Gewährleistung einer Verhandlung in angemessener Frist nach Art. 6 Abs. 1 EMRK und gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz effektiver Rechtsschutzgewährung aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG ist bei pflichtenmahnenden Disziplinarmaßnahmen durch eine Verringerung des Disziplinarmaßes auszugleichen. Dabei ist es eine Frage der Umstände des Einzelfalls, ob die Dauer unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten angemessen gewesen ist. Diese Prüfung ist ohne konkrete Zeitvorgaben oder abstrakte Orientierungswerte durchzuführen. Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur dann zu einer unangemessenen Verfahrenslänge, wenn sie auch bei Berücksichtigung des von Art. 97 Abs. 1 GG geschützten gerichtlichen Gestaltungsspielraums sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 14. September 2017 - 2 WA 1.17 D - BVerwGE 159, 366 Rn. 13 ff. und vom 12. Juli 2018 - 2 WD 1.18 - juris Rn. 42).
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Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Dauer des erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens, berechnet ab dem Eingang der Anschuldigungsschrift im April 2016 bis zur Zustellung des Urteils im Juni 2018, mit 26 Monaten um etwa ein Jahr und zwei Monate überlang. Dabei ist davon auszugehen, dass das vorliegende Verfahren von mittlerer Schwierigkeit war. Es bedurfte der Vernehmung des Angeschuldigten, der Leumundszeugen, der Auswertung der im vorangegangenen Strafprozess erlangten Beweismittel und der vom Angeschuldigten beigebrachten medizinischen und psychologischen Stellungnahmen. Die Sach- und Rechtsfragen waren überschaubar, sodass die Sache an einem Verhandlungstag entschieden werden konnte. Die Sache hatte für den Soldaten auch eine hohe Bedeutung, weil seine berufliche Existenz in Frage stand. Sein Prozessverhalten führte zu keiner Verzögerung, wenngleich er die ihn entlastenden medizinischen und psychologischen Unterlagen sehr spät vorlegte.
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Zwar war das Verfahren nach Zustellung der Anschuldigung noch nicht entscheidungsreif.
Das Truppendienstgericht musste auch nach Eingang der Stellungnahme der Verteidigung am 20. Mai 2016 keine umgehende Terminierung vornehmen. Da es im Rahmen des ihm zustehenden Entscheidungsspielraums andere dringliche Verfahren vorziehen konnte und sich vor einer Terminierung in den Vorgang einarbeiten musste, ist dem Truppendienstgericht hierfür ein Gestaltungsspielraum von sechs bis sieben Monaten zuzuerkennen. Soweit die Ladung nicht im Januar 2017, sondern erst im März 2018 erfolgt ist, sind dafür keine Gründe aus der Verfahrensakte ersichtlich. Eine erwähnenswerte Verfahrensförderung ist in dieser Zeit nicht erfolgt. Daher ist davon auszugehen, dass die Verzögerung auf Umstände in der Sphäre des Gerichts, namentlich auf die amtsbekannte Überlastung der Truppendienstgerichte, zurückzuführen ist. Anschließend ist das Verfahren zügig geführt und entschieden worden.
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Die Überlänge des Gerichtsverfahrens von einem Jahr und zwei Monaten bewirkte, dass der Soldat mehr als nötig unter der Dauer des Gerichtsverfahrens zu leiden und ein faktisches Beförderungsverbot hinzunehmen hatte. Dieser staatlicherseits verschuldete Verfahrensmangel ist dadurch auszugleichen, dass die Degradierung um eine Stufe reduziert wird. Damit kann es im Ergebnis bei der vom Truppendienstgericht ausgesprochenen Herabsetzung des angeschuldigten Soldaten zum Oberfeldwebel verbleiben.
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