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Disziplinarrecht: Chatbeiträge als Dienstvergehen



So kann einem die eigene Homepage übr den Kopf wachsen: Zu dem relativ neuen Phänomen der Chatbeiträge, die als Dienstvergehen angesehen werden, gibt es inzwischen Material in Hülle und Fülle. Es lässt sich kaum ein Überblick gewinnen und eine sinnvolle Darstellung erscheint kaum möglich, sie würde den Rahmen sprengen.
Hinzu kommt, dass wir mit der Annahme entsprechender Mandate sehr zurückhaltend sind und unser Interesse sich eher auf Fälle konzentriert, in denen es wirklich um Fragen der Meinungsfreiheit der Beamten geht.
Es fallen aber auch in diesen Angelegenheiten immer wieder einmal Erkenntnisse ab, die den im Disziplinarrecht
tätigen Anwalt (m/w/d) interessieren können.
Dies gilt zum Beispiel für den folgenden Fall, der zwar nicht eigentlich das Disziplinarrecht betrifft, aber vielleicht grundsätzliche Erwägungen anstoßen kann.

Pressemitteilung Oberlandesgericht Frankfurt am Main, 30.01.19  

Misshandlungsvorwurf in WhatsApp-Nachrichten an engste Familienmitglieder unterfällt „beleidigungsfreier Sphäre“

Innerhalb des engsten Familienkreises besteht ein ehrschutzfreier Raum, der es ermöglicht, sich frei auszusprechen, ohne gerichtliche Verfolgung befürchten zu müssen.
Behauptet die Schwiegermutter gegenüber ihrer Schwester und ihrer Tochter, dass ihr Schwiegersohn seine Familienmitglieder misshandle, habe dieser keinen Unterlassungsanspruch urteilte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) mit heute veröffentlichtem Urteil.

Der Kläger ist der Schwiegersohn der Beklagten. Er verlangt von seiner Schwiegermutter, dass sie zahlreiche Äußerungen über ihn nicht mehr behauptet bzw. verbreitet. Der Kläger und die Tochter der Beklagten haben zwei gemeinsame Kinder und sind weiterhin verheiratet. Anfang 2016 kam es zu einem heftigen Ehestreit. Nach Darstellung des Klägers hat er in diesem Zusammenhang seinen Sohn, der nicht von alleine das Zimmer verlassen wollte, am Nacken/Halsbereich gefasst und ihn von hinten „geschubst“, damit er ein wenig schneller laufe. Die Ehefrau des Klägers fertigte ein Video des weinenden und sich am Hals fassenden Sohnes an. Dieses gab sie der Beklagten zur Aufbewahrung.
Die beklagte Schwiegermutter verfasste daraufhin ein so genanntes „Protokoll über Misshandlungen“, in welchem sie zahlreiche Verhaltensweisen des Klägers auflistete. Dieses „Protokoll“ sowie das Video versandte die Beklagte als WhatsApp-Anlagen an ihre Schwester mit der Bitte, dieses an ihre gemeinsame Mutter weiterzuleiten. Darüber hinaus stellte sie Strafanzeige gegen den Kläger wegen Kindesmisshandlung und legte dem Jugendamt und der Kriminalpolizei ebenfalls das „Protokoll“ und das Video bei.
Der Kläger begehrt von der Beklagten, dass sie zahlreiche in diesem „Protokoll“ enthaltene Aussagen nicht weiter behauptet und verbreitet. Das Landgericht hat seinen Antrag zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Die streitgegenständlichen Äußerungen seien als „privilegierte Äußerungen“ einzustufen. Sie seien in einem „ehrschutzfreien Raum“ gefallen und deshalb nicht rechtswidrig. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung gebe „es einen Bereich vertraulicher Kommunikation innerhalb besonders ausgestalteter Vertrauensbeziehungen (...), wozu insbesondere der engste Familienkreis gehören, (der) dem Ehrenschutz vorgeht („beleidigungsfreie Sphäre“)“. Damit solle ein persönlicher Freiraum gewährt werden, in dem man sich mit seinen engsten Verwandten frei aussprechen könne, ohne eine gerichtliche Verfolgung befürchten zu müssen. „Äußerungen, die gegenüber Außenstehenden oder der Öffentlichkeit wegen ihres ehrverletzenden Gehalts eigentlich nicht schutzwürdig wären, genießen in solchen privaten Vertraulichkeitsbeziehungen verfassungsrechtlichen Schutz, welcher dem Schutz der Ehre des durch die Äußerung Betroffenen vorgeht“, resümiert das OLG.
Hier seien die streitgegenständlichen Äußerungen in diesem Freiraum erfolgt. Die Beklagte unterhalte zu den Adressaten der Mitteilungen einen sehr engen und guten Kontakt, der das Bedürfnis rechtfertige, „sich über den Kläger frei auszusprechen“. Dabei spiele es keine Rolle, dass sich die Aussagen in einem elektronischen Dokument als Anlage zu einer WhatsApp Nachricht befunden hätten und nicht bloß (fern)mündlich kommuniziert worden seien.
Soweit die beanstandeten Äußerungen und das „Protokoll“ auch an die Kriminalpolizei und das Jugendamt weitergeleitet worden seien, könne darauf ohnehin kein Unterlassungsanspruch gestützt werden. Es sei „mit dem Recht auf wirkungsvollen gerichtlichen Rechtsschutz sowie auf rechtliches Gehör unvereinbar, wenn rechtliche Äußerungen in einem Prozess oder die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten in einem Strafverfahren aus Gründen des Ehrenschutzes zu straf-, oder zivilrechtlichen Nachteilen führten, weil sich eine Behauptung später im Prozess oder nach behördlicher Prüfung als unrichtig oder unaufklärbar erweist“, betont das OLG.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 17.01.19, Az. 16 W 54/18

In eine ähnliche Richtung geht auch die folgende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts.
Bei dem Bundesverwaltungsgericht können Sie in Disziplinarsachen oft mit einer gewissen Strenge rechnen, aber eben nur, wenn nicht die Verfassung einen besonderen Schutz gewährt.
Vergleichen Sie dazu insbesondere Randnummern 48 und 50.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 13.01.22 - BVerwG 2 WD 4.21 -

Einstellung eines wegen Chatbeiträgen in WhatsApp-Gruppen von Soldaten geführten disziplinargerichtlichen Berufungsverfahrens

Leitsätze:
1. ...
2. Beleidigende Äußerungen von Soldaten sind disziplinarisch nicht relevant, wenn sie den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation genießen.


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3. In dem am 22.12.18 eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren wurde der Soldat am 07.05.20 wie folgt angeschuldigt:
"1. Der Soldat postete am 10.03.17 um 21:45 Uhr von einem nicht mehr näher feststellbaren Ort außer Dienst in der WhatsApp-Gruppe 'X' ein Bild mit einer Schildkröte. Dabei stand in englischer Sprache geschrieben: 'My name is lonesome George. I was born in 1912 and I am the last of my kind. It is up to me to preserve the values and morals of my time. HEIL FUCKING HITLER' (zu Deutsch: 'Ich heiße Lonesome [einsamer] George. Ich wurde 1912 geboren und bin der Letzte meiner Art. Ich trage die Verantwortung, die Werte und Sitten meiner Zeit zu bewahren. Heil, fucking Hitler!'). Dabei wusste der Soldat bzw. hätte zumindest erkennen können und müssen, dass er damit die Wertvorstellungen des NS-Unrechtsregimes verharmloste beziehungsweise zumindest den Anschein erweckte, dies zu tun und sich gegen die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stellte.
2. Der Soldat postete am 26.03.17 (Sonntag) um 13:55 Uhr von einem nicht mehr näher feststellbaren Ort außer Dienst in der WhatsApp-Gruppe 'X', der er und andere Angehörige des Offizierslehrgangs Teil 3 ... angehörten, das Foto des Schreibens eines Fußballfanclubs mit folgendem Inhalt, bezogen auf ein Fußballspiel: 'Für den Sturm zwei Juden, denn diese dürfen im Spiel nicht verfolgt werden. Für das Mittelfeld einen Neger und einen Chinesen, damit das Spiel farbiger wird. Für die Abwehr drei Schwule, damit mehr Druck von hinten kommt.' Dabei wusste der Soldat bzw. hätte zumindest erkennen können und müssen, dass er damit Menschen jüdischer Religion, anderer Hautfarbe und anderer sexueller Orientierung herabwürdigt oder zumindest den Anschein erweckt, dies zu tun und sich gegen die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stellte.
3. Der Soldat fertigte zusammen mit dem disziplinar gesondert verfolgten Oberleutnant C, Leutnant D und Oberleutnant E zu einem nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkt des 20.04.17 im Offizierslager im ..., ein Schild mit der Aufschrift ' FDGO-Würdenträger' an, welches diejenige Person der Gruppe tragen sollte, welche sich in ihrer Aussage zuvor am stärksten gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes gestellt hatte, wodurch er, was er wusste, zumindest hätte erkennen können und müssen, sich selbst gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes gestellt hat, mindestens jedoch einen solchen Anschein erweckte und damit einen Verstoß gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zumindest als harmlos darstellte.
4. Der Soldat postete am 06.04.18 (Freitag) um 13:27 Uhr von einem nicht mehr näher feststellbaren Ort außer Dienst in der WhatsApp-Gruppe 'Y', der außer dem Soldaten drei weitere im Ermittlungsergebnis benannte Kameraden angehörten, über den damaligen Hörsaalleiter der ...: 'Vermutlich J. So'n Typ der eher aussieht wie ein HFw. Wenn ja dann isses n spast' [sic]. Dabei wusste der Soldat, zumindest hätte er wissen können und müssen, dass er damit seinen Hörsaalleiter in dessen Würde und Ehre herabsetzte.
5. Der Soldat postete am 01.05.18 um 10:26 Uhr von einem nicht mehr näher feststellbaren Ort außer Dienst in der WhatsApp-Gruppe 'Y' als Antwort auf die Textnachricht des Oberleutnants C 'Wir haben gestern Feuer gemacht' den Spruch: 'Ausnahmsweise mal ohne Bücherverbrennung?'. Damit spielte der Soldat bewusst auf die Bücherverbrennung vom 10.05.1933 durch die Nationalsozialisten an, wobei er wusste, zumindest hätte wissen können und müssen, dass er damit das NS-Unrechtsregime verharmloste beziehungsweise zumindest den Anschein erweckte, dies zu tun und sich gegen die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stellte.
6. Der Soldat postete am 03.05.18 um 18:09 Uhr von einem nicht mehr näher feststellbaren Ort in derselben WhatsApp-Gruppe die Worte: 'Weil es doch nicht sein kann das nur ich einen so behinderten Kdr habe' [sic], bezogen darauf, dass der Kommandeur anderer Chatteilnehmer diese einen nichtbestandenen Einzelkämpferlehrgang hatte wiederholen lassen. Dabei wusste der Soldat, zumindest hätte er wissen können und müssen, dass er damit seinen ...kommandeur in dessen Würde und Ehre herabsetzte."

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4. Das Truppendienstgericht hat den Soldaten mit Urteil vom 25.11.20 freigesprochen. Die Anschuldigungspunkte 1, 2 und 5 seien erwiesen. Vom Anschuldigungspunkt 3 sei der Soldat freizustellen. Die Anschuldigungspunkte 4 und 6 seien nicht bewiesen, weil die Kommunikation in der WhatsApp-Gruppe "Y" als insoweit einziges Beweismittel einem Beweisverwertungsverbot unterliege. Es handele sich um einen Zufallsfund im Rahmen der wegen anderer Chatbeiträge angeordneten Durchsuchung, der nicht wirksam beschlagnahmt worden sei. Zum Anschuldigungspunkt 6 liege zwar zudem eine Aussage des Zeugen Oberstleutnant B vor, wonach sich der Soldat bei ihm entschuldigt habe. Jedoch erstrecke sich das Beweisverwertungsverbot auf diese Aussage, weil diese nur dadurch möglich geworden sei, dass der Zeuge Einsicht in den Chatverlauf genommen habe. Die damit allein erwiesenen Anschuldigungspunkte 1, 2 und 5 begründeten kein Dienstvergehen. Die betreffenden Chatbeiträge seien disziplinarisch nicht relevant.

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5. Mit ihrer zu Lasten des Soldaten uneingeschränkt eingelegten Berufung macht die Wehrdisziplinaranwaltschaft einen schweren Verfahrensmangel geltend. Der Vorsitzende der Truppendienstkammer sei gemäß § 77 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c WDO von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen gewesen, weil er an dem im gerichtlichen Antragsverfahren nach § 17 WBO ergangenen Beschluss vom 12. Juli 2019 zum Dienstausübungsverbot mitgewirkt habe. Abgesehen vom Anschuldigungspunkt 3 seien alle Anschuldigungen erwiesen. Die in den Anschuldigungspunkten 4 und 6 wiedergegebenen Chatbeiträge unterlägen keinem Beweisverwertungsverbot. Der Durchsuchungsbeschluss decke die Beschlagnahme aller Daten auf dem Mobiltelefon des Soldaten. Auch die zusätzliche Aussage des Zeugen Oberstleutnant B zum Anschuldigungspunkt 6 sei verwertbar. Er habe schon dadurch von dem Chatbeitrag Kenntnis erlangt, dass er bei der Durchsuchung anwesend gewesen sei und der Soldat sich bei ihm entschuldigt habe. Im Übrigen gelte im deutschen Recht nicht die sogenannte "fruit of the poisonous tree"-Doktrin. Mit seinen in den Anschuldigungspunkten 1, 2 und 5 zitierten Chatbeiträgen habe der Soldat bei objektiver Auslegung unter Berücksichtigung des Kontextes zumindest den Anschein erweckt, eine rechtsextremistische Gesinnung zu haben und sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu betätigen. Sein Verhalten sei geeignet gewesen, das nationalsozialistische Unrechtsregime zu verharmlosen. Er habe durch seine Chatbeiträge die weiteren Mitglieder beider WhatsApp-Gruppen darin bestärkt, das Einstellen von grenzüberschreitenden, teils offen rassistischen Sprüchen, Witzen und nationalsozialistischen Propagandaplakaten in den Chats fortzusetzen.
17
Der Bundeswehrdisziplinaranwalt macht ergänzend geltend, hinsichtlich der Kommunikation in der WhatsApp-Gruppe "Y" bestehe kein Beweisverwertungsverbot, weil jedenfalls nicht willkürlich gegen Beweiserhebungsvorschriften verstoßen worden sei. Die Erklärungen des Soldaten für seine Chatbeiträge seien Schutzbehauptungen. Er habe den Eindruck erweckt, eine verfassungsfeindliche Gesinnung zu teilen. Unter Berücksichtigung der Verfahrensdauer sei ein 15-monatiges Beförderungsverbot tat- und schuldangemessen.

18
6. Der Soldat hält dem im Wesentlichen entgegen, keine verfassungsfeindliche Gesinnung zu haben und mit seinen Chatbeiträgen auch keinen dahingehenden Eindruck erweckt zu haben. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass er seit 2020 die Förderreife zum Oberleutnant besitze, ohne befördert worden zu sein.
19
7. ...

II
20
Die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft hat in geringem Umfang Erfolg. Das Truppendienstgericht hat den Soldaten zu Unrecht freigesprochen. Der Soldat hat ein Dienstvergehen begangen, das an sich mit einer einfachen Disziplinarmaßnahme zu ahnden wäre. Da diese nach § 17 Abs. 2 WDO nicht mehr verhängt werden kann, ist das Verfahren gemäß § 123 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 108 Abs. 3 Satz 1 WDO unter Feststellung eines Dienstvergehens einzustellen.
21
1. ...
...
...
25
Da die Berufung in vollem Umfang eingelegt worden ist, hatte der Senat im Rahmen der Anschuldigung eigene Tat-und Schuldfeststellungen zu treffen und auf dieser Grundlage eigenständig über eine Disziplinarmaßnahme zu befinden.
26
a) Die Anschuldigungspunkte 1 und 2 sind in tatsächlicher Hinsicht erwiesen und begründen nach § 23 Abs. 1 SG ein Dienstvergehen, weil der Soldat damit schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt hat.
27
aa) Aufgrund der geständigen Einlassung des Soldaten, der Stellungnahme des Zeugen Oberleutnant S vom 31. Juli 2018 mit den betreffenden Screenshots und dessen erstinstanzlicher Zeugenaussage steht objektiv fest, dass der Soldat das im Anschuldigungspunkt 1 beschriebene "Meme" und das Foto eines Schreibens mit dem im Anschuldigungspunkt 2 wiedergegebenen "Fußball-Witz" an den betreffenden Tagen in die WhatsApp-Gruppe "X" einstellte. Dabei versah er das eingestellte Foto des "Fußball-Witzes" mit der Bemerkung "Was man so alles auf dem Dachboden findet" und drei gleich aussehenden Emojis (lachende Köpfe mit dunkler Hautfarbe).
28
Die WhatsApp-Gruppe "X" bestand nach den Angaben des Soldaten, der seinerzeit den Dienstgrad eines Oberfähnrichs hatte, aus 10 bis 20 Soldaten der insgesamt 24 Teilnehmer des Offizierlehrgangs Teil 3, wobei die WhatsApp-Gruppenmitglieder zwar alle gut bekannt, aber nicht alle miteinander befreundet waren. Wie der Zeuge Oberleutnant C erstinstanzlich bestätigt hat, handelte es sich um das ausschließlich dem privaten Austausch dienende "Gegenstück" zur dienstlichen WhatsApp-Gruppe "Z".
29
Mangels gegenteiliger Erkenntnisse ist zu Gunsten des Soldaten davon auszugehen, dass er beide Chatbeiträge außerhalb des Dienstes und außerhalb dienstlicher Anlagen in den Chat einstellte.
30
...
31
In subjektiver Hinsicht steht fest, dass der Soldat beide Chatbeiträge wissentlich und willentlich und damit vorsätzlich in die WhatsApp-Gruppe einstellte.
32
bb) Der Soldat hat damit nach § 23 Abs. 1 SG ein Dienstvergehen begangen.
33
(1) Er hat mit beiden Chatbeiträgen jeweils vorsätzlich gegen die nach § 10 Abs. 6 SG bestehende Verpflichtung verstoßen, innerhalb und außerhalb des Dienstes bei seinen Äußerungen die Zurückhaltung zu wahren, die erforderlich ist, um das Vertrauen als Vorgesetzter zu erhalten. Die nach § 10 Abs. 6 SG jedem Offizier und Unteroffizier - so auch dem Soldaten als damaligem Oberfähnrich - bei dienstlichen und außerdienstlichen Äußerungen auferlegten Beschränkungen (Achtung der Rechte anderer, Besonnenheit, Toleranz und Sachlichkeit) sind für einen Vorgesetzten unerlässlich, um seine dienstlichen Aufgaben erfüllen und seinen Untergebenen in Haltung und Pflichterfüllung Vorbild sein zu können (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.03.17 - 2 WD 16.16 - juris Rn. 79).
34
§ 10 Abs. 6 SG erfasst alle "Äußerungen", die geeignet sind, das Vertrauen in Vorgesetzte zu erschüttern. Bei der Auslegung der in Rede stehenden Äußerungen ist vom objektiven Erklärungsgehalt auszugehen, wie ihn ein unbefangener Dritter verstehen musste. Dabei sind alle Begleitumstände einschließlich des Kontextes und der sprachlichen und gesellschaftlichen Ebene, auf der die Äußerungen fielen, zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.10.08 - 2 WD 1.08 - BVerwGE 132, 179 Rn. 34). Maßgeblich für die Deutung ist nicht die subjektive Absicht des sich Äußernden, sondern der Sinn, den die Äußerung nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums hat (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 11.11.21 - 1 BvR 11/20 - juris Rn. 17 m.w.N.). Bei mehrdeutigen Äußerungen müssen andere mögliche Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen werden, bevor eine zur Verurteilung führende Bedeutung zugrunde gelegt wird (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 24.01.18 - 1 BvR 2465/13 - NJW 2018, 770 Rn. 19 m.w.N.).
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Das im Anschuldigungspunkt 1 beschriebene "Meme" bezieht sich auf die "Lonesome George" genannte Riesenschildkröte, die 1971 auf den Galápagos-Inseln entdeckt wurde und 2012 im Alter von etwa 100 Jahren als vermutlich letztes Individuum ihrer Unterart starb. Der in dem "Meme" hergestellte Zusammenhang zwischen dieser Schildkröte, der ihr in den Mund gelegten Aussage, es liege an ihr, die Werte und Moralvorstellungen ihrer Zeit zu bewahren, und dem Zusatz "HEIL FUCKING HITLER" lässt zwar nicht hinreichend klar erkennen, was damit zum Ausdruck gebracht werden soll. Das zwischen die Worte "Heil" und "Hitler" eingeschobene Wort "fucking" kann sowohl in einem den Nationalsozialismus befürwortenden als auch in einem ihn ablehnenden Sinne verstanden werden. Denn das Wort "fucking" wird im allgemeinen Sprachgebrauch teilweise in einem verstärkenden Sinne (z. B. "fucking good", umgangssprachlich "verdammt gut") und teilweise in einem distanzierenden Sinne (z.B. "fucking fool", umgangssprachlich "Vollidiot") verwendet. Der Soldat hat selbst eingeräumt, dass es in der Logik des Gedankengangs der sprechenden Schildkröte läge, die Formulierung als positive Konnotation zu verstehen. Sie kann aber vom Verfasser des "Meme" auch bewusst im negativen Sinne eingesetzt worden sein, um die nationalsozialistische Grußformel durch Einschub eines vulgären englischen Begriffs zu verfremden und sich auf diese Weise davon zu distanzieren. Der Ausruf "Heil fucking Hitler" ist jedenfalls keine feststehende, in bestimmten Situationen oder von bestimmten Gruppierungen typischerweise verwendete Parole, die auf ein eindeutiges Wortverständnis schließen lassen könnte. Der genaue Kontext des "Meme" ist nicht mehr aufklärbar. Denn der Chatverlauf der WhatsApp-Gruppe "X" liegt weder ganz noch in zusammenhängenden Auszügen vor. Vorhanden sind lediglich die vom Zeugen Oberleutnant S gefertigten Screenshots einzelner, aus dem jeweiligen Kontext gerissener Postings. Mithin kann eine den Nationalsozialismus ablehnende Auslegung des Postings nicht mit schlüssigen Argumenten ausgeschlossen werden.
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Ungeachtet dessen wahrt aber die Formulierung "Heil fucking Hitler" als solche nicht mehr die von einem Vorgesetzten zu erwartende Zurückhaltung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.10.19 - 2 WDB 2.19 - Rn. 20). Denn die zweideutige Verwendung nationalsozialistischer Parolen ist geeignet, das Vertrauen von Untergebenen und der Öffentlichkeit in die Verfassungstreue eines Offiziers zu untergraben.
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Die im Anschuldigungspunkt 2 wiedergegebene Äußerung in dem geposteten Schreiben ist nach dem objektiven Erklärungsgehalt eine äußerst geschmacklose, auf einen "Lacheffekt" angelegte Äußerung, mit der die Judenverfolgung verharmlosend in den Kontext eines Fußballspiels gesetzt wird, die Hautfarbe von Chinesen und dunkelhäutigen Personen unter Verwendung des rassistischen und abwertenden Begriffs "Neger" thematisiert wird und sich in diskriminierender und sexuell negativer Weise über "Schwule" lustig gemacht wird. Weder der Umstand, dass das Posting in einen WhatsApp-Chat eingestellt wurde, noch die "Unterhaltungskomponente" ändern etwas an diesem objektiven Erklärungsgehalt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.10.19 - 2 WDB 2.19 - Rn. 19). Aus Sicht eines objektiven Empfängers hat sich der Soldat den Spruch mit seinem Chatbeitrag zu Eigen gemacht. Denn er hat ihn mit drei dunkelhäutigen, lachenden Emojis versehen. Hieraus ergibt sich, dass er mit seinem Chatbeitrag einen Witz machen und nicht - wie behauptet - nur Verwunderung darüber zum Ausdruck bringen wollte, dass man früher mit einem solchen Spruch habe Werbung machen dürfen. Andernfalls hätte es nahegelegen, das Posting mit Emojis zu versehen, welche Verwunderung ausdrücken. Ein derartiger rassistischer und diskriminierender vermeintlicher Witz ist ebenfalls geeignet, das Vertrauen in Vorgesetzte zu erschüttern (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.10.19 - 2 WDB 2.19 - Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 9 Rn. 19).
38
Beide Chatbeiträge sind auch Äußerungen, die Untergebenen "zu Gehör kommen" oder "in die Öffentlichkeit dringen" konnten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.10.19 - 2 WDB 2.19 - Rn. 22). Denn die WhatsApp-Gruppe "X" bestand nach den Angaben des Soldaten aus 10 bis 20 Offizieranwärtern, die zwar miteinander verbunden, aber nicht alle miteinander befreundet waren, so dass die Gefahr bestand, dass die Chatbeiträge von den gruppenangehörigen Kameraden mit einem niedrigeren Dienstgrad oder Außenstehenden gezeigt oder weitergeleitet werden konnten, was auch durch den Zeugen Oberleutnant S geschah.
39
(2) Damit einher geht jeweils ein vorsätzlicher Verstoß gegen die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 3 SG. Denn das Einstellen der betreffenden Postings war ihrem Inhalt nach geeignet, das dienstliche Ansehen des Soldaten bei Untergebenen, Gleichgestellten und Vorgesetzten ernsthaft zu beeinträchtigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.10.19 - 2 WDB 2.19 - Rn. 23).
40
Zwar hat sich der Soldat mit den Chatbeiträgen nicht strafbar gemacht, so dass die disziplinarische Relevanz nicht bereits aus dem Strafrahmen einer zugleich begangenen Straftat abgeleitet werden kann (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 24.08.18 - 2 WD 3.18 - BVerwGE 163, 16 Rn. 53). Insbesondere hat der Soldat weder den Straftatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB) noch der Beleidigung (§ 185 StGB) verwirklicht, weshalb das sachgleiche Strafverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist. Auch straflose außerdienstliche Verhaltensweisen können aber der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht widersprechen. Denn ein Soldat muss sich insbesondere dann in seinem privaten Verhalten mäßigen, wenn dabei ein besonderer Bezug zur Dienstausübung, d.h. zu seinem militärischen Auftrag, zu seinen Kameraden oder zur Bundeswehr besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2020 - 2 WD 17.19 - BVerwGE 168, 323 Rn. 23 m.w.N.). Ein solch besonderer Bezug zum Dienstgeschehen besteht hier darin, dass der Soldat die Postings in eine ausschließlich aus 10 bis 20 Offizieranwärtern seines Hörsaals bestehende WhatsApp-Gruppe eingebracht und damit auch auf die weltanschauliche Willensbildung seiner Kameraden Einfluss genommen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2020 - 2 WD 17.19 - BVerwGE 168, 323 Rn. 23).

41
(3) Nicht hingegen hat der Soldat gegen die politische Treuepflicht nach § 8 SG verstoßen. Danach muss ein Soldat die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes anerkennen (Alt. 1) und durch sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung eintreten (Alt. 2).
42
Der Begriff "freiheitliche demokratische Grundordnung" in § 8 SG ist identisch mit dem gleichlautenden Begriff, wie er bezogen auf Art. 21 Abs. 2 GG konturiert worden ist. Daraus folgt eine Konzentration auf wenige, zentrale Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 17.01.17 - 2 BvB 1/13 - BVerfGE 144, 20 Rn. 535). Ausgangspunkt für die Bestimmung des Begriffsinhalts ist danach die Würde des Menschen und das Demokratieprinzip, für das die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller am politischen Willensbildungsprozess sowie die Rückbindung der Ausübung von Staatsgewalt an das Volk maßgeblich ist. Schließlich erfasst der Begriff den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2020 - 2 WD 17.19 - BVerwGE 168, 323 Rn. 37).
43
(a) Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Soldat die genannten zentralen Verfassungsprinzipien nicht im Sinne des § 8 Alt. 1 SG anerkennt. Er hat eine verfassungsfeindliche Gesinnung in Abrede gestellt. Seine Postings lassen als solche keine ausreichenden Rückschlüsse auf eine fehlende Verfassungstreue zu. Sie haben schon objektiv keinen klar erkennbaren verfassungsfeindlichen Gehalt und sind angesichts der spielerisch-scherzhaften Einkleidung der Kommunikation insoweit jedenfalls nicht selbsterklärend. Da in dem Chat ein auf kurzfristige "Lacher" angelegter Überbietungswettbewerb an geschmacklosen und menschenverachtenden Bemerkungen stattfand, ist der Rückschluss auf eine ernsthaft verfassungsfeindliche Gesinnung nicht zwingend. Es ist nicht auszuschließen, dass der Soldat den Gehalt seiner Postings nicht ernst gemeint hat und er sich durch das Bedürfnis nach Anerkennung durch seine Kameraden zu besonders schlechten vermeintlichen Witzen hinreißen ließ (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.10.19 - 2 WDB 2.19 - Rn. 27). Auch aus den Stellungnahmen des Vaters des Soldaten und der Vertrauensperson sowie der Beschreibung des Soldaten durch die Leumundszeugen Oberstleutnant B und Oberstleutnant A ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine fehlende Verfassungstreue. Entsprechendes gilt für die in den Akten enthaltenen Mitteilungen des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst.
44
(b) Der Soldat hat auch nicht gegen § 8 Alt. 2 SG verstoßen. Die Verpflichtung zum Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung nach § 8 Alt. 2 SG geht zwar weiter als die Pflicht zu ihrer Anerkennung gemäß § 8 Alt. 1 SG. Sie wird bereits verletzt, wenn ein Soldat sich nicht eindeutig von Bestrebungen distanziert, die diesen Staat und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.01.21 - 2 WD 7.20 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 89 Rn. 28). Ein Soldat darf daher auch nicht entgegen seiner inneren verfassungstreuen Gesinnung aus Solidarität zu Freunden, aus Übermut, aus Provokationsabsicht oder aus anderen Gründen nach außen hin verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützen und sich objektiv betrachtet illoyal verhalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2020 - 2 WD 17.19 - BVerwGE 168, 323 Rn. 39). Dies hat der Soldat mit den beiden Chatbeiträgen nicht getan. Das "Schildkröten-Meme" hat wegen seiner Mehrdeutigkeit bereits keinen klar erkennbaren, die Wertvorstellungen des NS-Unrechtsregimes verharmlosenden oder sonst den Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung entgegenstehenden Gehalt. Der vermeintliche "Fußball-Witz" bewegt sich wegen der spielerisch-scherzhaften Einkleidung unterhalb der Schwelle eines tatsächlich illoyalen Verhaltens oder Unterstützens verfassungsfeindlicher Bestrebungen.

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b) Alle weiteren Anschuldigungspunkte sind nicht erwiesen oder disziplinarisch nicht relevant.
46
aa) Der Anschuldigungspunkt 3 ist nicht erwiesen. Aus den Zeugenaussagen ergeben sich keine Hinweise darauf, dass der Soldat, der die Tat bestritten hat, an der Anfertigung des betreffenden Schildes beteiligt war. Der Bundeswehrdisziplinanwalt hat daran in der Berufungshauptverhandlung - wie schon die Wehrdisziplinaranwaltschaft in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung - nicht mehr festgehalten.
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bb) Hinsichtlich der Anschuldigungspunkte 4 und 6 kann dahinstehen, ob sie in tatsächlicher Hinsicht erwiesen sind oder ob der Verwertung des insoweit einzigen Beweismittels - der Kommunikation in der WhatsApp-Gruppe "Y" - ein Beweisverwertungsverbot entgegensteht. Denn die beiden angeschuldigten abfälligen Bemerkungen des Soldaten über seinen Hörsaalleiter und seinen Kommandeur in der lediglich aus ihm als damaligem Leutnant und drei weiteren Offizieren bestehenden privaten WhatsApp-Gruppe "Y" sind disziplinarisch nicht relevant.
48
Darin liegt keine Verletzung der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 3 SG. Gegen diese Pflicht kann zwar auch durch nach § 185 StGB strafbare Beleidigungen von Vorgesetzten verstoßen werden. Solche außerdienstlichen Äußerungen erlangen ungeachtet des niedrigen Strafrahmens (Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe) disziplinarische Relevanz, weil qualifizierende Umstände - wiederholtes Handeln und Amtsträgerschaft der Beteiligten - hinzutreten (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.08.18 - 2 WD 3.18 - BVerwGE 163, 16 Rn. 55).
Das öffentliche Interesse an Strafverfolgung und disziplinarer Ahndung von Vorgesetztenbeleidigungen muss jedoch ausnahmsweise zurücktreten, wenn die ehrverletzenden Äußerungen ohne echten Kundgabewillen nur im engsten Familien- oder Freundeskreis gefallen sind und wenn der Betroffene aufgrund der besonderen Vertrautheit der Beteiligten und der Vertraulichkeit der Gesamtumstände nicht mit einem Bekanntwerden seiner Äußerung rechnen muss.
Denn in diesen Fällen fordern die auch dem Soldaten nach § 6 Satz 1 SG zustehenden Grundrechte auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) und freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) dass die Vertraulichkeit der Kommunikation respektiert wird und eine staatliche Sanktion unterbleibt.
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Zum einen gibt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Grundrechtlich geschützt sind damit insbesondere Werturteile, also Äußerungen, die durch ein Element der Stellungnahme gekennzeichnet sind. Dies gilt ungeachtet des womöglich ehrschmälernden Gehalts einer Äußerung. Dass eine Aussage polemisch oder verletzend formuliert ist, entzieht sie grundsätzlich nicht dem Schutzbereich des Grundrechts (BVerfG, Kammerbeschluss vom 17.03.21 - 2 BvR 194/20 - juris Rn. 30 m.w.N.). Zum anderen gewährleistet Art. 2 Abs. 1 GG die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Zu den Bedingungen der Persönlichkeitsentfaltung gehört es, dass der Einzelne einen Raum besitzt, in dem er unbeobachtet sich selbst überlassen ist oder mit Personen seines besonderen Vertrauens ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verhaltenserwartungen und ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen verkehren kann. Aus der Bedeutung einer solchen Rückzugsmöglichkeit für die Persönlichkeitsentfaltung folgt, dass der Schutz des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG auch die Privatsphäre umfasst.
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Am Schutz der Privatsphäre nimmt auch die vertrauliche Kommunikation teil. Gerade bei Äußerungen gegenüber Familienangehörigen und Vertrauenspersonen steht häufig weniger der Aspekt der Meinungskundgabe und die damit angestrebte Einwirkung auf die Meinungsbildung Dritter als der Aspekt der Selbstentfaltung im Vordergrund. Nur unter den Bedingungen besonderer Vertraulichkeit ist dem Einzelnen ein rückhaltloser Ausdruck seiner Emotionen, die Offenbarung geheimer Wünsche oder Ängste, die freimütige Kundgabe des eigenen Urteils über Verhältnisse und Personen oder eine entlastende Selbstdarstellung möglich. Unter solchen Umständen kann es auch zu Äußerungsinhalten oder -formen kommen, die sich der Einzelne gegenüber Außenstehenden oder in der Öffentlichkeit nicht gestatten würde. Gleichwohl verdienen sie als Ausdruck der Persönlichkeit und Bedingung ihrer Entfaltung den Schutz des Grundrechts (BVerfG, Kammerbeschluss vom 17.03.21 - 2 BvR 194/20 - NStZ 2021, 439 Rn. 32 m.w.N.).
51
Daraus folgt, dass bei ehrverletzenden Äußerungen über nicht anwesende Dritte in besonders engen Lebenskreisen eine beleidigungsfreie Sphäre besteht, wenn die Äußerung Ausdruck des besonderen Vertrauens ist und wenn keine begründete Möglichkeit ihrer Weitergabe besteht. Der Schutz der Vertrauenssphäre geht in einem solchen Fall auch dann nicht verloren, wenn sich der Staat - wie etwa bei einer Briefkontrolle bei Strafgefangenen - Kenntnis von vertraulich gemachten Äußerungen verschafft (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. April 1994 - 1 BvR 1689/88 - BVerfGE 90, 255 <261>; Kammerbeschluss vom 23.11.06 - 1 BvR 285/06 - BVerfGK 9, 442 <444 f.>). Entsprechendes gilt, wenn er - wie hier - im Wege einer Durchsuchung eines Mobilfunkgerätes Kenntnis von vertraulichen Äußerungen erhält.
52
Der Kreis möglicher Vertrauenspersonen ist dabei nicht auf Eheleute oder Eltern beschränkt, sondern erstreckt sich auf ähnlich enge - auch rein freundschaftliche - Vertrauensverhältnisse. Entscheidend für den grundrechtlichen Schutz der Vertrauensbeziehung ist, dass ein Verhältnis besteht, welches für den Betroffenen in seiner Funktion, ihm einen Raum zu bieten, in dem er ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verhaltenserwartungen und ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen verkehren kann, dem Verhältnis vergleichbar ist, wie es in der Regel zu Eheleuten, Eltern oder auch anderen Familienangehörigen besteht (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 17.03.21 - 2 BvR 194/20 - NStZ 2021, 439 Rn. 34). Ein solches besonderes Näheverhältnis kann auch zwischen Menschen bestehen, die als Mitglieder einer Gruppe Gleichgesinnter mit gemeinsamen Freizeitgewohnheiten ("Clique") befreundet sind. Für junge Menschen sind in der Funktion als Ort entlasteter und entlastender vertrauensvoller Kommunikation häufig gerade Freundschaften dieser Art besonders wichtig (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 27. Juli 2009 - 2 BvR 2186/07 - juris Rn. 18 m.w.N.). Zur Beurteilung, ob im Einzelfall zwischen den an einer Kommunikation Beteiligten ein derartiges Vertrauensverhältnis besteht, sind neben dem Charakter der Vertrauensbeziehung die Art und der Kontext der ehrverletzenden Äußerung zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 23.11.06 - 1 BvR 285/06 - juris Rn. 13 ff.).
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Danach bestand zwischen den vier Mitgliedern der WhatsApp-Gruppe "Y" ein solches Vertrauensverhältnis. Während die WhatsApp-Gruppe "Z" zu beruflichen Zwecken genutzt wurde und aus allen Angehörigen des betreffenden Hörsaals einschließlich des Hörsaalleiters bestand und sich in der WhatsApp-Gruppe "X" 10 bis 20 dieser Hörsaalangehörigen, die nicht alle miteinander befreundet waren, zu privaten Zwecken zusammengeschlossen hatten, gehörten der ebenfalls nur privaten Zwecken dienenden WhatsApp-Gruppe "Y" nur der Soldat und drei weiteren Offiziere desselben Offizierlehrgangs an. Diese waren eng miteinander befreundet und verbrachten gemeinsam ihre Urlaube. Zu diesem Zweck war diese WhatsApp-Gruppe auch gegründet worden. Sie tauschten sich innerhalb dieser Gruppe regelmäßig vertrauensvoll über ihre Empfindungen aus.
54 Da beide abfälligen Bemerkungen des Soldaten damit dem Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation unterlagen, können sie weder strafrechtlich noch disziplinarisch geahndet werden.
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cc) Der Anschuldigungspunkt 5 ist zwar unabhängig von der Frage eines Beweisverwertungsverbots hinsichtlich der Kommunikation in der WhatsApp-Gruppe "Y" erwiesen. Denn der Soldat hat den betreffenden Vorwurf eingeräumt. Allerdings stellt die von ihm nach Erhalt eines Lagerfeuerfotos gestellte Frage - "Diesmal ohne Bücherverbrennung?" - objektiv betrachtet keine Billigung oder Verharmlosung des Nationalsozialismus dar. Zwar wird damit auf die nationalsozialistische Bücherverbrennung angespielt. Der Soldat bringt mit der Frage auch zum Ausdruck, dass er seinem Gegenüber ein derartiges Verhalten zutraut. In der eher scherzhaft gestellten Frage liegt aber noch keine Aufforderung und keine Billigung eines entsprechenden Nachahmungsverhaltens. Daher ist die Schwelle zu einer Verletzung der Pflicht aus § 8 SG nicht überschritten.
56
Wäre die verfängliche Frage öffentlich gestellt worden, könnte man im Hinblick auf die erwartbare Antwort eine Verletzung des Zurückhaltungsgebots des § 10 Abs. 6 SG annehmen. Im vorliegenden Fall ist jedoch die Vertraulichkeit der Kommunikation zu beachten. Es bestand - anders als bei den von den Anschuldigungspunkten 1 und 2 erfassten Chatbeiträgen in der WhatsApp-Gruppe "X" - wegen des kleinen und eingeschworenen Mitgliedskreises der WhatsApp-Gruppe "Y" nicht die Gefahr, dass die Äußerungen Untergebenen zu Gehör kommen oder in die Öffentlichkeit dringen konnten.

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3. Bei Art und Maß der für das Dienstvergehen zu verhängenden Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen. Insoweit legt der Senat ein zweistufiges Prüfungsschema zugrunde:
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a) Auf der ersten Stufe bestimmt er zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle und im Interesse der Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die betreffende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Hier ist von einer Kürzung der Dienstbezüge auszugehen. Bei ausländer- und judenfeindlichen Äußerungen, die nicht mit einem Verstoß gegen die politische Treuepflicht verbunden sind, aber die Pflichten zur Zurückhaltung und zum Wohlverhalten verletzen, ist je nach Art und Schwere der Dienstpflichtverletzungen allenfalls ein Beförderungsverbot angezeigt (vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2001 - 1 D 55.99 - Buchholz 232 § 52 BBG Nr. 12, S. 20 ff. zu einem Beamten; vom 28.08.01 - 2 WD 27.01 - Buchholz 236.1 § 10 SG Nr. 47, S. 32 und vom 22.10.08 - 2 WD 1.08 - BVerwGE 132, 179 Rn. 102 und 123).
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Hinsichtlich der in dem unüberlegten "Fußball-Witz" des Soldaten enthaltenen diskriminierenden Äußerungen und hinsichtlich der Versendung des mehrdeutigen "Schildkröten-Meme" ist jedoch wegen der scherzhaften Einkleidung nach Art und Schwere des Dienstvergehens allenfalls eine Kürzung der Dienstbezüge angemessen. Dabei ist schon erschwerend berücksichtigt, dass diese Beiträge in einem Chatverlauf eingestellt worden sind, in dem sich diskriminierende und rechtsextremistische Äußerungen häuften. Die Beiträge des Soldaten waren in diesem Zusammenhang objektiv geeignet, die problematische Tendenz des Chatverlaufs zu verstärken.
60
b) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO Umstände vorliegen, die eine Milderung oder Verschärfung gegenüber der auf der ersten Stufe angesetzten Regelmaßnahme gebieten. Danach wäre an sich die Verhängung einer einfachen Disziplinarmaßnahme angemessen.
61
aa) Zwar spricht gegen den Soldaten, dass er zu den Tatzeitpunkten aufgrund seines Dienstgrades als Oberfähnrich eine Vorgesetztenstellung (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 SG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 VorgV), was hinsichtlich der Verletzung der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht erschwerend wirkt.
62
Zudem hatte das Dienstvergehen nachteilige Auswirkungen für den Dienstherrn, weil die Aufklärung einen Feldjägereinsatz in Litauen erforderte, der Soldat repatriiert und angeordnet wurde, dass er bis zum Abschluss des gerichtlichen Disziplinarverfahrens nicht als Führer, Erzieher und Ausbilder eingesetzt werden darf. Auch stand seine Arbeitskraft seinem Dienstherrn vom 28. September bis zum 22.12.18 infolge des ersten gegen ihn verhängten Dienstausübungsverbots, das keinen offensichtlichen Rechtmäßigkeitsbedenken unterlag, nicht zur Verfügung.
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bb) Nicht hingegen fällt zu Lasten des Soldaten ins Gewicht, dass er nachfolgend etwa zehneinhalb Monate lang vorläufig des Dienstes enthoben war und am 12. Juli 2019 gegen ihn ein erneutes Verbot der Dienstausübung nach § 22 Satz 1 SG erging. Denn die vorläufige Dienstenthebung wurde vom Senat und das erneute Dienstausübungsverbot vom Truppendienstgericht jeweils rechtskräftig für rechtswidrig erklärt.
64
Ebenso wenig kann dem Soldaten vorgehalten werden, dass das Dienstvergehen in den Medien thematisiert worden sei, was in der Öffentlichkeit ein schlechtes Licht auf die Bundeswehr und ihre Angehörigen geworfen habe. Denn dies betraf nicht konkret die beiden hier in Rede stehenden Postings, sondern wesentlich gravierendere Chatbeiträge anderer Soldaten.

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cc) Demgegenüber sprechen folgende gewichtige Umstände für den Soldaten:
66
Er hat sich nachbewährt. Eine Nachbewährung setzt in fachlicher Hinsicht eine deutliche Leistungssteigerung oder die Beibehaltung eines hohen Leistungsniveaus voraus (vgl. BVerwG, Urteile vom 14. Februar 2019 - 2 WD 18.18 - Rn. 31 m.w.N. und vom 14.01.21 - 2 WD 7.20 - NVwZ-RR 2021, 770 Rn. 37). Zudem muss sich der Soldat während des Verfahrens in jeder Hinsicht ohne Anlass zu Beanstandungen durch seine Vorgesetzten führen (BVerwG, Urteil vom 29.11.12 - 2 WD 10.12 - juris Rn. 48). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Soldat hat nach dem Abbruch seines Studiums durchweg gute dienstliche Leistungen erbracht und diese kontinuierlich über mehrere Jahre hinweg gesteigert. Dies kommt im Beurteilungsvermerk vom 25.01.18, der Bescheinigung des Zeugen Oberstleutnant B im Rahmen der 2020 verliehenen Leistungsprämie, dessen erstinstanzlicher Aussage, der Personenbeschreibung durch den Zeugen Oberstleutnant A vom 19. Februar 2021, dessen Sonderbeurteilung vom 24. Februar 2021 und dessen Aussage in der Berufungshauptverhandlung sowie der 2021 gewährten "Seuchenprämie Corona" zum Ausdruck. Des Weiteren sprechen Einsicht und Reue für den Soldaten. Insbesondere kommt dem Geständnis zum Anschuldigungspunkt 2 ein erhebliches Gewicht zu, weil es keinen lesbaren Screenshot von dem betreffenden Chatbeitrag gibt. Ferner hat er sich bei seinem Kommandeur, dem Zeugen Oberstleutnant B, allgemein für seine Chatbeiträge entschuldigt. Offen bleiben kann, ob darüber hinaus mildernd zu berücksichtigen ist, dass der Soldat zu Unrecht vorläufig des Dienstes enthoben wurde und zu Unrecht einem soldatenrechtlichen Dienstausübungsverbot unterlag. Ebenso kann dahinstehen, ob sich die seit 2020 bestehende Förderreife zum Oberleutnant zu seinen Gunsten auswirkt. Denn die Nachbewährung als klassischer Milderungsgrund rechtfertigt bereits den Übergang von der Kürzung der Dienstbezüge (§ 58 Abs. 1 Nr. 1 WDO) zu einer einfachen Disziplinarmaßnahme nach § 22 WDO, die gemäß § 58 Abs. 6 WDO auch von den Wehrdienstgerichten verhängt werden darf.

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4. Eine einfache Disziplinarmaßnahme darf jedoch nach § 17 Abs. 2 WDO nicht verhängt werden, wenn seit einem Dienstvergehen sechs Monate verstrichen sind. Das einheitliche Dienstvergehen endete am 26.03.17, die Sechsmonatsfrist mit Ablauf des 26. September 2017. Die Frist war nicht nach § 17 Abs. 5 WDO gehemmt, weil vor ihrem Ablauf weder das gerichtliche Disziplinarverfahren noch das sachgleiche Strafverfahren eingeleitet worden waren. Ersteres wurde am 22.12.18 eingeleitet, Letzteres erst nach dem am 11.10.18 vermerkten Eingang der Abgabeverfügung an die Staatsanwaltschaft.
Disziplinarrecht / Übersicht Dienstvergehen / Übersicht
A. Grundlagen Dienstvergehen: Einführung Gesetzesgrundlage Pflichtenverstoß innerdienstlich/außerdienstlich? Bagatelle kein Dienstvergehen Einheit des Dienstvergehens Versuch des Dienstvergehens Schuldfähigkeit Schuldunfähigkeit Verminderte Schuldfähigkeit? BVerwG 2 c 59.07
Schwerbehinderte Beamte Pensionierung
B. Beispiele
Alkoholabhängigkeit Amtsarztuntersuchung Anabolika Arbeitszeitbetrug Bestechlichkeit Betrug im Dienst Betrug / Trennungsgeldbetrug Diebstahl im Dienst / Spielsucht Diebstahl an hilfloser Person Diebstahl außerdienstlich Drogendelikt / Beihilfe Drogenerwerb Betäubungsmittel / Soldat Eigentumsdelikt im Dienst fehlerhafte Arbeitsweise Fernbleiben vom Dienst Flucht in die Öffentlichkeit Gesunderhaltungspflicht Impfpflicht / Soldaten / Beamte Internetauftritt Kinderpornografie / Übersicht Körperverletzung im Amt Meineid Nebentätigkeit Nichtbefolgen von Weisung Reaktivierung abgelehnt sexuell Motiviertes Sonderrechtsfahrt/ Unfall Steuerhinterziehung Kein Streikrecht für Beamte Trunkenheitsfahrt Unfallflucht als Dienstvergehen Untreue, § 266 StGB Verfassungstreue Verrat von Dienstgeheimnissen Vorteilsnahme Vorteilsnahme 2 Zugriffsdelikte






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