Verbot des Führens der Dienstgeschäfte - Abgrenzung zum Disziplinarrecht
Mit der Abgrenzung zwischen der Suspendierung nach Disziplinarrecht und der "Zwangsbeurlaubung" nach Beamtenrecht (dem Verbot des Führens der Dienstgeschäfte) befasst sich das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen in einem Beschluss vom 09.09.08, - 12 L 942 / 08 -.
In diesem konkreten Fall scheint es so, als habe der Dienstherr gegen den Beamten ein Verbot des Führens der Dienstgeschäfte ausgesprochen, nachdem er mit der von ihm zuvor ausgesprochenen Suspendierung nach § 38 Bundesdisziplinargesetz beim Disziplinargericht gescheitert war.
Diesen "Trick" billigt das Verwaltungsgericht nicht.
Der Entscheidung voranstellen möchten wir einen Hinweis auf einen Beschluss des VG Magdeburg vom 26.10.22 - 15 B 22/22 MD - ECLI: ECLI:DE:VGMAGDE:2022:1026.15B22.22MD.00.
Der Beschluss betrifft einen Ruhestandsbeamten, so dass es nicht unmittelbar um das Verbot der Dienstverrichtung geht, sondern um die damit oft verbundene Frage der vorübergehenden Kürzung der Dienst- bzw. Versorgungsbezüge.
Das Gericht weist in aller Kürze auf die Unterschiede zwischen beiden Maßnahmen hin und erwähnt in RN 22 Gründe, aus denen Behörden bisweilen mit entsprechenden Verfügungen scheitern.
RN 21
Wegen der unterschiedlichen tatbestandlichen Voraussetzungen und Zielsetzungen einer beamtenrechtlichen (§ 39 BeamtStG; § 53 LBG LSA) und disziplinarrechtlichen (§ 38 DG LSA) Suspendierung und/oder Einbehaltungsverfügung, ist bereits ein bloßer Verweis auf eine beamtenrechtliche Suspendierung zweifelhaft, zumal sich beide gegenseitig ausschließen (VG Magdeburg, Beschl. v. 29.07.2020, 15 B 7/20; juris). Zumindest muss der Verweis im Bescheid explizit erfolgen (VG Magdeburg, Beschl. v. 29.07.2020, 15 B 7/20 m.w.Nachw.; juris).
RNr22
Denn die bloße Erwähnung der anderen behördlichen Entscheidung in einer Ermessensentscheidung der Behörde lässt nicht in ausreichendem Maße erkennen, dass die Behörde sich tatsächlich die gleiche Bewertung des Verhaltens des Beamten zu eigen und zur Grundlage der Prognose gemacht hat. Eine solche erst durch „verständige“ oder der Behörde gegenüber wohlwollende Auslegung der behördlichen Entscheidung wird der materiell-rechtlichen Bedeutung der von der Disziplinarbehörde zu treffenden Prognoseentscheidung und des mit der Maßnahme verbundenen Eingriffs in die Rechte des Beamten nicht gerecht.
Nun aber zu der angekündigten Entscheidung des VG Gelsenkirchen.
Der nachstehende Text ist nicht in allen Teilen wortgetreu wiedergegeben.
Soweit § 60 BBG (Bundesbeamtengesetz) herangezogen wird, ist eine Gesetzesänderung zu beachten.
Ab Februar 2009 sind die Dinge in § 66 BBG geregelt.
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Beschluss vom 09.09.08, - 12 L 942/08 -
Die disziplinargerichtliche Entscheidung zur vorläufigen Dienstenthebung sperrt das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte (nach Beamtenrecht), wenn die Entfernung des Beamten aus dem Dienst beabsichtigt ist.
Die Antragsgegnerin hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verbots des Führens der Dienstgeschäfte damit begründet, dass der Beamte im Verdacht stehe, in seiner Eigenschaft als Schaltermitarbeiter Scheinbuchungen zu Lasten nicht existierender Girokonten durchgeführt und die entsprechenden Geldbeträge für eigene Zwecke verwendet zu haben. Durch dieses Fehlverhalten habe er im Kernbereich seiner Dienstpflichten derart versagt, dass im Interesse eines ordnungsgemäßen Betriebsablaufs seine Weiterbeschäftigung nicht mehr zumutbar sei. ....
Angesichts der rechtlich erforderlichen zwingenden dienstlichen Gründe für den Ausspruch eines Verbots der Führung der Dienstgeschäfte und des Zwecks eines solchen Verbots besteht bei Verbotsverfügung nach § 60 Bundesbeamtengesetz - BBG - regelmäßig zugleich ein besonderes öffentliches Interesse am Sofortvollzug.
Aber in diesem Fall entscheidet das Gericht anders:
Es besteht schon deshalb kein überwiegendes Interesse an der sofortigen Vollziehung, da der angefochtene Bescheid offensichtlich rechtswidrig ist.
Rechtsgrundlage der angefochtenen Verbotsverfügung ist § 60 Abs. 1 BBG [jetzt: § 66 BBG]. Danach kann - auch im privatisierten Postbereich - einem Beamten aus zwingenden dienstlichen Gründen die Führung seiner Dienstgeschäfte verboten werden.
Die Anwendung des § 60 Abs. 1 BBG war jedoch vorliegend durch einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster vom 04.07.08 im Disziplinarverfahren (Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 Bundesdisziplinargesetz) gesperrt.
§ 60 Abs. 1 BBG regelt die Anordnung eines (vorläufigen und strukturell zeitlich befristeten) Verbots der Führung von Dienstgeschäften, um beamten- oder disziplinarrechtlich Schritte vorzubereiten, die zur Behebung der aufgetretenen dienstlichen Schwierigkeiten erforderlich sind.
Hiervon zu unterscheiden ist die vorläufige Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 BDG, wonach ein Beamter gleichzeitig mit oder nach Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes enthoben werden kann, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird. Hierbei handelt es sich um eine disziplinarrechtliche Maßnahme im Rahmen eines anhängigen Disziplinarverfahrens.
Sowohl mit der Verbotsverfügung nach § 60 Abs. 1 BBG als auch mit der vorläufigen Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 BDG sollen Gefahren abgewendet werden, welche der Verwaltung durch die aktuelle Amtsausübung des Beamten drohen.
Die inhaltliche Nähe zwischen beiden Regelungen wird dadurch sichtbar, dass dem Verbot der Führung von Dienstgeschäften nach § 60 BBG der Verdacht eines Dienstvergehens zugrunde liegen kann und es deshalb häufig der Vorbereitung eines Disziplinarverfahrens dient. Andererseits stellt der Verdacht eines Dienstvergehens nur einen - bedeutsamen - Ausschnitt des Anwendungsbereichs des § 60 BBG dar. Beide Vorschriften divergieren in Tatbestand, Rechtsfolge und Rechtsschutz, sie stehen deshalb grundsätzlich selbständig nebeneinander.
Insofern ist es nicht ausgeschlossen, dass trotz einer vorläufigen Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 BDG auch ein Verbot der Führung der Dienstgeschäfte in Betracht kommen kann. Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 60 Abs. 1 BBG ist jedoch geboten, wenn die dort maßgebenden "zwingenden dienstlichen Gründe" mit denen übereinstimmen, die die Durchführung des Disziplinarverfahrens tragen (disziplinarrelevante Gründe). Dabei kann dahinstehen, ob bereits die bloße Einleitung des Disziplinarverfahrens die Anwendung des § 60 BBG unter Bezugnahme auf disziplinarrelevante Gründe unzulässig machen kann.
Eine Sperrung des § 60 Abs. 1 BBG [jetzt: § 66 BBG] ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn eine Entscheidung der Disziplinarinstanz bezüglich der vorläufigen Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 BDG erfolgt ist. Ein Rückgriff auf § 60 Abs. 1 BBG in dem Fall, in dem nach wie vor die disziplinarrechtlichen Sanktionen - Entfernung aus dem Dienst beziehungsweise Aberkennung des Ruhegehalts - verfolgt werden, würde eine der Rechtssystematik zuwider laufende Umgehung der in § 38 Abs. 1 BDG zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitserwägungen sowie der durch die Disziplinarinstanz vorgenommenen - sachnäheren - Wertung bedeuten.
Ein solch unzulässiger Rückgriff liegt hier vor. Das Verwaltungsgericht Münster hat in dem Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller durch Beschluss die vorläufige Dienstenthebung mit der Begründung ausgesetzt, dass nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festzustellen sei, dass der Antragsteller ein Dienstvergehen begangen habe, das zu seiner Entfernung aus dem Dienst führen wird. Es bestünden erhebliche Zweifel, ob dem Antragsteller die ihm vorgeworfenen Scheinbuchungen nachgewiesen werden könnten.
Der Rückgriff auf § 60 BBG aus den von der Antragsgegnerin genannten Gründen - dringender Verdacht der Scheinbuchungen - ist damit eine Umgehung der durch das Disziplinargericht ausgesprochenen Wertung zugunsten des Beschäftigungsanspruchs des Antragstellers.
Dass sonstige Gründe vorliegen, die eine Anwendung des § 60 Abs. 1 BBG zu Lasten des Antragstellers rechtfertigen könnten, ist weder dargetan noch ersichtlich.
Die disziplinargerichtliche Entscheidung zur vorläufigen Dienstenthebung sperrt das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte (nach Beamtenrecht), wenn die Entfernung des Beamten aus dem Dienst beabsichtigt ist.
Die Antragsgegnerin hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verbots des Führens der Dienstgeschäfte damit begründet, dass der Beamte im Verdacht stehe, in seiner Eigenschaft als Schaltermitarbeiter Scheinbuchungen zu Lasten nicht existierender Girokonten durchgeführt und die entsprechenden Geldbeträge für eigene Zwecke verwendet zu haben. Durch dieses Fehlverhalten habe er im Kernbereich seiner Dienstpflichten derart versagt, dass im Interesse eines ordnungsgemäßen Betriebsablaufs seine Weiterbeschäftigung nicht mehr zumutbar sei. ....
Angesichts der rechtlich erforderlichen zwingenden dienstlichen Gründe für den Ausspruch eines Verbots der Führung der Dienstgeschäfte und des Zwecks eines solchen Verbots besteht bei Verbotsverfügung nach § 60 Bundesbeamtengesetz - BBG - regelmäßig zugleich ein besonderes öffentliches Interesse am Sofortvollzug.
Aber in diesem Fall entscheidet das Gericht anders:
Es besteht schon deshalb kein überwiegendes Interesse an der sofortigen Vollziehung, da der angefochtene Bescheid offensichtlich rechtswidrig ist.
Rechtsgrundlage der angefochtenen Verbotsverfügung ist § 60 Abs. 1 BBG [jetzt: § 66 BBG]. Danach kann - auch im privatisierten Postbereich - einem Beamten aus zwingenden dienstlichen Gründen die Führung seiner Dienstgeschäfte verboten werden.
Die Anwendung des § 60 Abs. 1 BBG war jedoch vorliegend durch einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster vom 04.07.08 im Disziplinarverfahren (Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 Bundesdisziplinargesetz) gesperrt.
§ 60 Abs. 1 BBG regelt die Anordnung eines (vorläufigen und strukturell zeitlich befristeten) Verbots der Führung von Dienstgeschäften, um beamten- oder disziplinarrechtlich Schritte vorzubereiten, die zur Behebung der aufgetretenen dienstlichen Schwierigkeiten erforderlich sind.
Hiervon zu unterscheiden ist die vorläufige Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 BDG, wonach ein Beamter gleichzeitig mit oder nach Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes enthoben werden kann, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird. Hierbei handelt es sich um eine disziplinarrechtliche Maßnahme im Rahmen eines anhängigen Disziplinarverfahrens.
Sowohl mit der Verbotsverfügung nach § 60 Abs. 1 BBG als auch mit der vorläufigen Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 BDG sollen Gefahren abgewendet werden, welche der Verwaltung durch die aktuelle Amtsausübung des Beamten drohen.
Die inhaltliche Nähe zwischen beiden Regelungen wird dadurch sichtbar, dass dem Verbot der Führung von Dienstgeschäften nach § 60 BBG der Verdacht eines Dienstvergehens zugrunde liegen kann und es deshalb häufig der Vorbereitung eines Disziplinarverfahrens dient. Andererseits stellt der Verdacht eines Dienstvergehens nur einen - bedeutsamen - Ausschnitt des Anwendungsbereichs des § 60 BBG dar. Beide Vorschriften divergieren in Tatbestand, Rechtsfolge und Rechtsschutz, sie stehen deshalb grundsätzlich selbständig nebeneinander.
Insofern ist es nicht ausgeschlossen, dass trotz einer vorläufigen Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 BDG auch ein Verbot der Führung der Dienstgeschäfte in Betracht kommen kann. Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 60 Abs. 1 BBG ist jedoch geboten, wenn die dort maßgebenden "zwingenden dienstlichen Gründe" mit denen übereinstimmen, die die Durchführung des Disziplinarverfahrens tragen (disziplinarrelevante Gründe). Dabei kann dahinstehen, ob bereits die bloße Einleitung des Disziplinarverfahrens die Anwendung des § 60 BBG unter Bezugnahme auf disziplinarrelevante Gründe unzulässig machen kann.
Eine Sperrung des § 60 Abs. 1 BBG [jetzt: § 66 BBG] ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn eine Entscheidung der Disziplinarinstanz bezüglich der vorläufigen Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 BDG erfolgt ist. Ein Rückgriff auf § 60 Abs. 1 BBG in dem Fall, in dem nach wie vor die disziplinarrechtlichen Sanktionen - Entfernung aus dem Dienst beziehungsweise Aberkennung des Ruhegehalts - verfolgt werden, würde eine der Rechtssystematik zuwider laufende Umgehung der in § 38 Abs. 1 BDG zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitserwägungen sowie der durch die Disziplinarinstanz vorgenommenen - sachnäheren - Wertung bedeuten.
Ein solch unzulässiger Rückgriff liegt hier vor. Das Verwaltungsgericht Münster hat in dem Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller durch Beschluss die vorläufige Dienstenthebung mit der Begründung ausgesetzt, dass nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festzustellen sei, dass der Antragsteller ein Dienstvergehen begangen habe, das zu seiner Entfernung aus dem Dienst führen wird. Es bestünden erhebliche Zweifel, ob dem Antragsteller die ihm vorgeworfenen Scheinbuchungen nachgewiesen werden könnten.
Der Rückgriff auf § 60 BBG aus den von der Antragsgegnerin genannten Gründen - dringender Verdacht der Scheinbuchungen - ist damit eine Umgehung der durch das Disziplinargericht ausgesprochenen Wertung zugunsten des Beschäftigungsanspruchs des Antragstellers.
Dass sonstige Gründe vorliegen, die eine Anwendung des § 60 Abs. 1 BBG zu Lasten des Antragstellers rechtfertigen könnten, ist weder dargetan noch ersichtlich.
Das mag für Sie graue Theorie sein. Der mit diesen Dingen befasste Jurist wird aber im Einzelfall möglicherweise etwas zu prüfen haben.