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Dienstliche Beurteilung / Probleme bei längerer Freistellung


Die nachstehende Entscheidung mag Ihnen langweilig und endlos lang erscheinen, sie spricht aber viele im Jahr 2022 diskutierte Gesichtspunkte des Problems an, wie bei längerer Freistellung etwa für Personalratsmitglieder oder Gleichstellungsbeauftragte eine rechtmäßige dienstliche Beurteilung erstellt werden kann, obwohl der eigentliche Dienst nicht verrichtet wurde.
Dafür gibt es verschiedene Konzepte und Streit über die Einzelheiten.

In diesem Fall geht es eigentlich um eine Beförderungskonkurrenz, aber in dem gerichtlichen Eilverfahren werden insbesondere auch die dienstlichen Beurteilungen der Bewerber auf ihre Rechtmäßigkeit geprüft. Hier geht es um die dienstliche Beurteilung einer vom eigentlichen Dienst freigestellten Schwerbehindertenvertrauensperson.

Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 30.03.22 - 1 B 308/21 -

Bestenauslese bei Bewerbung eines vom normalen Dienst freigestellten Beamten (Fortentwicklung der Senatsrechtsprechung
im Beschluss vom 15.06.21 - 1 B 513/20 -)

Leitsatz

1. Das Spannungsverhältnis zwischen dem durch Art. 33 Abs. 2 GG geschützten öffentlichen Interesse an einer optimalen Ämterbesetzung sowie dem 1. Das Spannungsverhältnis zwischen dem durch Art. 33 Abs. 2 GG geschützten öffentlichen Interesse an einer optimalen Ämterbesetzung sowie dem entsprechenden Bewerbungsverfahrensanspruch der normalen Dienst leistenden Bewerber auf der einen Seite und dem Bewerbungsverfahrensanspruch eines vom normalen Dienst freigestellten Bewerbers sowie einem einfachgesetzlich Benachteiligungsverbot wie § 179 Abs. 2 SGB IX auf der anderen Seite rechtfertigt auch dann keine unmittelbare Auswahlentscheidung anhand von Auswahlgesprächen, wenn für den vom normalen Dienst freigestellten Bewerber eine fiktive Fortschreibung früherer dienstlicher Beurteilungen mangels belastbarer (Tatsachen-) Grundlage ausscheidet.
2. Ein Ausschluss des vom normalen Dienst freigestellten Bewerbers aus dem Auswahlverfahren ist dadurch zu vermeiden, dass diesem durch den Dienstherrn die Möglichkeit eingeräumt wird, den normalen Dienst zeitweise wieder aufzunehmen, um so eine (Tatsachen-) Grundlage für eine dienstliche Beurteilung zu schaffen.

Verfahrensgang
vorgehend VG Gießen, 28.01.21, 5 L 3376/20.GI, Beschluss

Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 28.01.21 - 5 L 3376/20.GI - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung abgeändert.
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zur Bekanntgabe einer neuen Auswahlentscheidung untersagt, die im Jahr 2020 intern ausgeschriebene Stelle der „Sachgebietsleitung Personalmanagement (A 12 HBesG)“ in der Präsidialverwaltung der Justus-Liebig-Universität Gießen zu besetzen.
Der Antragsgegner hat die Kosten in beiden Instanzen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 13.947,30 Euro festgesetzt.

Gründe
I.
1 Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die vom Antragsgegner beabsichtigte Beförderung des Beigeladenen zum Amtsrat.
2 Antragstellerin und Beigeladener stehen im Dienste des Landes Hessen, sind an der Justus-Liebig-Universität Gießen tätig und beide schwerbehindert.
3 Die Antragstellerin ist Amtfrau (Besoldungsgruppe A 11 HBesG). Sie bekleidet seit 21.12.05 das Amt der Schwerbehindertenvertrauensperson und ist aufgrund dessen vollständig von ihren Diensttätigkeiten freigestellt. Ihre letzte Regelbeurteilung datiert auf den 02.12.04 und betrifft den Beurteilungszeitraum vom 1. April 1997 bis 30.09.04.
Die nachfolgenden dienstlichen Beurteilungen vom 29.01.07, 06.08.08, 31. März 2010, 19.09.11 und 27. Oktober 2016 erfolgten stets aus Anlass von Bewerbungen und wurden jeweils im Wege einer fiktiven Fortschreibung erstellt.
4 Der Beigeladene ist Amtmann (Besoldungsgruppe A 11 HBesG) und als Sachgebietsleiter tätig.
5 Antragstellerin und Beigeladener bewarben sich auf die im Wege der Beförderung zu besetzende Stelle der „Sachgebietsleitung Personalmanagement (A 12 HBesG)“ in der Präsidialverwaltung der Justus-Liebig-Universität Gießen.
6 Die aus Anlass dieser Bewerbung erstellte dienstliche Beurteilung der Antragstellerin vom 27.08.20 (Beurteilungszeitraum: 1. September 2016 bis 31. Juli 2020) endet mit dem Gesamturteil von 115 Punkten („übertrifft die Anforderungen des statusrechtlichen Amtes“) und beruht ebenfalls auf einer fiktiven Fortschreibung. Die Anlassbeurteilung des Beigeladenen vom 27.08.20 (Beurteilungszeitraum 01.09.16 bis 31. Juli 2020) schließt mit dem Gesamturteil von 125 Punkten („übertrifft deutlich die Anforderungen des statusrechtlichen Amtes“).
7 Am 9.09.20 fanden Auswahlgespräche mit der Antragstellerin und dem Beigeladenen statt.
8 Im als „Auswahlvermerk“ bezeichneten Auswahlbericht der Personaldezernentin vom 10.09.20 wurde der Beigeladene „auf Basis des derzeitigen statusrechtlichen Amtes bzw. der beruflichen Entwicklung unter Berücksichtigung seiner aktuellen dienstlichen Beurteilung sowie der Eindrücke aus dem Auswahlgespräch“ für die Besetzung der ausgeschriebenen Stelle vorgeschlagen.
9 Unter dem 11.09.20 schloss sich die Kanzlerin den Ausführungen im Auswahlvermerk an. Der Präsident der Justus-Liebig-Universität Gießen erklärte am 14.11.20 mit der Auswahlentscheidung einverstanden zu sein.
10 Der Personalrat und die Schwerbehindertenvertretung erteilten ihre Zustimmung.
11 Mit Schreiben vom 21.09.20 (abgesandt am selben Tag) wurde der Antragstellerin mitgeteilt, dass ihr die ausgeschriebene Stelle nicht übertragen werde könne, da der Beigeladene ausgewählt worden sei.
12 Gegen die Auswahlentscheidung legte die Antragstellerin am 6. Oktober 2020 und gegen die dienstliche Beurteilung vom 27.08.20 am 10.11.20 Widerspruch ein.
13 Am 6. Oktober 2020 hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Gießen um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass die Beurteilungen nicht vergleichbar seien. Im Gegensatz zum Beigeladenen sei ihre Beurteilung nicht auf der Grundlage ihrer tatsächlich erbrachten Leistungen, sondern lediglich im Wege einer fiktiven Fortschreibung erfolgt. Zudem erweise sich die fiktive Fortschreibung als fehlerhaft. Es sei zunächst eine unrichtige - nur aus 2 Personen bestehende - Vergleichsgruppe gebildet worden. Auch fehle es an einer belastbaren Tatsachenbasis für die Fortschreibung, nachdem sie bereits seit 16 Jahren von ihrer Tätigkeit freigestellt sei. Inhaltlich habe der Antragsgegner die Fortschreibung auch nicht richtig durchgeführt. Es sei auch von vornherein nicht auszuschließen, dass sie im Falle einer erneuten Auswahlentscheidung ausgewählt werden würde.
14 Die Antragstellerin hat sinngemäß beantragt, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, die Stelle der „Sachgebietsleitung Personalmanagement“ in der Präsidialverwaltung der Justus-Liebig-Universität Gießen mit einem Mitbewerber zu besetzen und diesen zu befördern, bis über ihre Bewerbung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts eine erneute Auswahlentscheidung getroffen ist.
15 Der Antragsgegner hat beantragt,
den Antrag abzulehnen, und zur Begründung ausgeführt, dass die Vergleichsgruppe ordnungsgemäß gebildet worden sei. Eine fiktive Fortschreibung sei auch möglich gewesen. Zwischen der letzten Beurteilung und dem Stichtag, zu dem die fiktive Fortschreibung zu erstellen gewesen sei, lägen noch keine 16 Jahre.
16 Mit Beschluss vom 12.11.20 hat das Verwaltungsgericht den Eilantrag abgelehnt. Zur Begründung hat es angeführt, dass offenbleiben könne, ob die im Wege der fiktiven Fortschreibung erstellte dienstliche Beurteilung der Auswahlentscheidung habe zugrunde gelegt werden dürfen. Denn der Antragsgegner habe seine Auswahlentscheidung jedenfalls auch auf Grundlage des zulässigen (Hilfs-)Kriteriums des strukturierten Auswahlgesprächs getroffen, in welchem der Beigela dene ebenfalls nachvollziehbar besser bewertet worden sei.
17 Gegen den ihr am 28.01.21 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 10.02.21 Beschwerde erhoben und diese mit Schriftsatz vom 21.02.21 - eingegangen am 1. März 2021 - begründet.
18 Die Antragstellerin ist der Auffassung, das Verwaltungsgericht habe nicht offenlassen dürfen, ob ihre dienstliche Beurteilung fehlerhaft sei. Auf Hilfskriterien dürfe nur dann zurückgegriffen werden, wenn sich aus vorrangig zu berücksichtigenden Umständen kein Leistungsvorsprung ergebe. Der Beschluss erweise sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Die dienstlichen Beurteilungen seien nicht vergleichbar. Die dienstliche Beurteilung des Beigeladenen beruhe auf der Beobachtung seiner tatsächlichen Diensttätigkeit, während ihre dienstliche Beurteilung auf einer fiktiven Fortschreibung beruhe.
Auch leide ihre dienstliche Beurteilung an durchgreifenden Mängeln. Es sei keine taugliche Vergleichsgruppe für die erfolgte fiktive Fortschreibung gebildet worden. Eine Vergleichsgruppenbildung, bestehend aus lediglich zwei Beamten, sei zu klein. Dies folge auch aus Nr. 5.4 der Beurteilungsrichtlinien für die dienstliche Beurteilung der Beamtinnen und Beamten des Landes Hessen vom 05.05.07 (StAnz. 2007, 998). Der Antragsgegner verkenne auch den A-Stadt und Zweck einer fiktiven Fortschreibung, indem er keinen Mittelwert für eine fiktive (Leistungs-)Fortschreibung bilde. Es fehle zudem an einer belastbaren Tatsachenbasis, nachdem sie bereits seit ca. 16 Jahren freigestellt sei.
Die Fehlerhaftigkeit ihrer dienstlichen Beurteilung sei auch kausal für die Auswahlentscheidung.
Es sei nämlich nicht auszuschließen, dass sie bei einer rechtsfehlerfreien Bestenauslese ausgewählt worden wäre. Ihre Chancenlosigkeit ergebe sich insbesondere nicht aus dem durchgeführten Auswahlgespräch. Mithilfe eines Auswahlgesprächs als Momentaufnahme könne bereits keine verlässliche Aussage zur Leistung, Befähigung und Eignung getroffen werden. Darüber hinaus sei auch nicht hinreichend dokumentiert, ob und wie lange wer mit welchem Ergebnis befragt worden sei. Die im gerichtlichen Verfahren nachgereichten handschriftlichen Ausführungen seien nicht Gegenstand des Auswahlvorgangs geworden. Sie ließen auch keine Leistungsunterschiede erkennen. ...

19 Die Antragstellerin beantragt, unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Gießen 28.01.21 dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, die Stelle der „Sachgebietsleitung Personalmanagement“ in der Präsidialverwaltung der Justus-Liebig-Universität Gießen mit einem Mitbewerber zu besetzen und diesen zu befördern, bis über ihre Bewerbung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts eine erneute Auswahlentscheidung getroffen ist.
20 Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

21 Zur Begründung bezieht sich der Antragsgegner auf seine Ausführungen im erstinstanzlichen Verfahren und führt ergänzend aus, dass der erstinstanzliche Beschluss an keinen durchgreifenden Mängeln leide. Es sei - unabhängig von der erteilten Anlassbeurteilung - eine fehlerfreie Auswahlentscheidung aufgrund des Auswahlgesprächs getroffen worden. Grundsätzlich gelte es im Rahmen von Auswahlentscheidungen zwar vorrangig die dienstlichen Beurteilungen zu berücksichtigen, vorliegend habe aber eine Sondersituation bestanden. Darüber hinaus sei die dienstliche Beurteilung der Antragstellerin fehlerfrei zustande gekommen, insbesondere sei die Vergleichsgruppe ausreichend groß bemessen gewesen. Es bestehe auch eine hinreichende Tatsachengrundlage. ...
22 Der Beigeladene stellt keinen Antrag und hat sich auch sonst nicht am Verfahren beteiligt.

II.
23 Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet.
24 Der Beschluss des Verwaltungsgerichts, den Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen, erweist sich auf der Grundlage des Beschwerdevorbringens ... im Ergebnis als unzutreffend.
25 Der Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.

26 1. Der Anordnungsanspruch eines unterlegenen Beförderungsbewerbers, der die Verwirklichung der getroffenen Auswahlentscheidung durch die Beförderung des ausgewählten Mitbewerbers mit einer einstweiligen Anordnung zu verhindern sucht, setzt voraus, dass die getroffene Auswahlentscheidung fehlerhaft ist und es jedenfalls möglich erscheint, dass der unterlegene Bewerber bei einer rechtsfehlerfreien Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG ausgewählt würde (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschluss vom 25.02.21 - 1 B 376/20 -, juris Rn. 19).

27 a) Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.

28 aa) Hat sich der Dienstherr in der Stellenausschreibung des Personalauswahlinstruments eines Anforderungsprofils bedient und hierbei in rechtmäßiger Weise den Kreis der Bewerber durch das Aufstellen eines sog. konstitutiven Anforderungsprofils, dessen Merkmal die Bewerber zwingend erfüllen müssen, gesteuert und eingeengt, scheiden Bewerber, die ein konstitutives Merkmal nicht erfüllen, aus dem Auswahlverfahren aus. Ein umfassender Eignungs-, Befähigungs- und Leistungsvergleich (Qualifikationsvergleich) findet dann nur zwischen den Bewerbern statt, die das konstitutive Anforderungsprofil erfüllen.

29 bb) Ausgangspunkt der für den Qualifikationsvergleich zu treffenden Feststellungen über die Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Bewerber sind vorrangig deren aktuelle dienstliche Beurteilungen (erste Ebene).
30 (1) Der Qualifikationsvergleich anhand der aktuellen dienstlichen Beurteilungen setzt deren Vergleichbarkeit voraus, sodass bei auf unterschiedlichen Beurteilungssystemen oder Beurteilungsrichtlinien beruhenden oder von unterschiedlichen Beurteilern stammenden dienstlichen Beurteilungen gegebenenfalls vor Vornahme des Qualifikationsvergleichs die Kompatibilität der dienstlichen Beurteilungen herzustellen ist (Senatsbeschluss vom 25.02.21 - 1 B 376/20 -, juris Rn. 22).
31 (2) Um taugliche Grundlage eines dem Art. 33 Abs. 2 GG genügenden Qualifikationsvergleichs zu sein, müssen miteinander vergleichbare oder vergleichbar gemachte dienstliche Beurteilungen zudem hinreichend aktuell sein.
32 (3) Die dienstlichen Beurteilungen müssen ferner für den Qualifikationsvergleich inhaltlich aussagekräftig sein.
33 (a) Dies erfordert zunächst, dass jede dienstliche Beurteilung für sich betrachtet keinen (Beurteilungs-) Fehler aufweist, der ihre Tauglichkeit für einen Qualifikationsvergleich ausschließt. Das verlangt insbesondere, dass die dienstliche Tätigkeit im jeweiligen Beurteilungszeitraum vollständig erfasst wird und die vorgenommenen Bewertungen auf zuverlässige Erkenntnis­quellen gestützt sind. Weiterhin müssen die dienstlichen Beurteilungen hinreichend differenziert sein, das heißt, dass sie die Qualifikation der Bewerber in Bezug auf ihr jeweiliges Amt und in der Relation zu anderen Bediensteten objektiv darstellen („Notenspreizung“). Auch müssen das Gesamturteil und die (Einzel-) Bewertungen, auf denen das Gesamturteil der jeweiligen dienstlichen Beurteilung beruht, miteinander vereinbar sein (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 25.02.21 - 1 B 376/20 -, juris Rn. 24 f.).
34 (b) Losgelöst von der Frage ihrer etwaigen Fehlerhaftigkeit sind dienstliche Beurteilungen für einen den Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG genügenden Qualifikationsvergleich nur dann inhaltlich aussagekräftig, wenn sie hinsichtlich der von ihnen jeweils erfassten Beurteilungszeiträume einen Vergleich ohne ins Gewicht fallende Benachteiligung eines Bewerbers ermöglichen. Dies erfordert grundsätzlich, dass die von den dienstlichen Beurteilungen abgedeckten Zeiträume zumindest nicht zu erheblich auseinanderfallenden Stichtagen geendet haben. Unterschiedlich lange Beurteilungszeiträume sind unschädlich, soweit sie nicht willkürlich gewählt sind und verlässliche und langfristige Aussagen über die Qualifikation der Bewerber zulassen (st. Rspr., vgl. Senatsbeschlüsse vom 25.02.21 - 1 B 376/20 -, juris Rn. 26 sowie vom 13.01.22 - 1 B 2408/20).
35 (4) Bei Vorliegen miteinander vergleichbarer, hinreichend aktueller und inhaltlich aussagekräftiger dienstlicher Beurteilungen sind für den Qualifikationsvergleich in erster Linie die (abschließenden) Gesamturteile der dienstlichen Beurteilungen maßgeblich. Besteht nach den Gesamturteilen der dienstlichen Beurteilungen ein (annähernder) Gleichstand der Bewerber (sog. qualifikatorisches Patt), hat zum Qualifikationsvergleich anhand der aktuellen dienstlichen Beurteilungen eine vergleichende Ausschärfung der Gesamturteile (auch als Ausschöpfung der dienstlichen Beurteilung oder Binnendifferenzierung bezeichnet) anhand der in den aktuellen dienstlichen Beurteilungen enthaltenen und dem Gesamturteil zugrundeliegenden (Einzel-)Bewertungen zu erfolgen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 25.02.21 - 1 B 376/20 -, juris Rn. 28, vom 16. April 2020 - 1 B 2734/18 -, juris Rn. 61 und vom 21.11.17 - 1 B 1522/17 -, juris Rn. 20). Welches Gewicht die auswählende Stelle statusamtsbezogen den (Einzel-)Bewertungen bei der Ausschärfung der Gesamturteile beimisst, ist Gegenstand ihres Beurteilungsspielraums und gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar (vgl. Senatsbeschluss vom 21.11.17 - 1 B 1522/17 -, juris Rn. 20).
36 cc) Ergibt der Qualifikationsvergleich auf der ersten Ebene nach den Gesamturteilen sowie nach deren (statusamtsbezogener) Ausschärfung anhand der in den aktuellen dienstlichen Beurteilungen enthaltenen Einzelbewertungen eine im Wesentlichen gleiche Eignung der Bewerber, liegt es - vorbehaltlich normativer Regelungen - im Ermessen des Dienstherrn, welche weiteren leistungsbezogenen Erkenntnisquellen (zweite Ebene) er zur Bestenauslese im Auswahlverfahren heranzieht (vgl. Senatsbeschlüsse vom 10.08.21 - 1 B 973/20 -, juris Rn. 35 und vom 16. April 2020 - 1 B 2734/18 -, juris Rn. 62).
37 dd) Erst wenn sowohl nach den aktuellen dienstlichen Beurteilungen (erste Ebene) als auch nach der im jeweiligen Einzelfall aufgrund einer Ermessensentscheidung erfolgten Heranziehung bestimmter leistungsbezogener Erkenntnisquellen (zweite Ebene) ein qualifikatorisches Patt verbleibt, darf der Dienstherr bei der Auswahlentscheidung auf nicht leistungsbezogene Hilfskriterien (dritte Ebene) zurückgreifen (vgl. zu Vorstehendem: Senatsbeschlüsse vom 25.02.21 - 1 B 376/20 -, juris Rn. 20 f., vom 16. April 2020 - 1 B 2734/18 -, juris Rn. 57 ff., vom 30. April 2019 - 1 B 1675/18 -, juris Rn. 19 ff., vom 16.01.19 - 1 B 229/18 -, juris Rn. 19 ff., vom 14.06.18 - 1 B 2345/17 -, juris Rn. 38 ff. und vom 8.02.18 - 1 B 1830/17 -, juris Rn. 14 f.).
38 b) Gemessen an diesen Vorgaben erweist sich die Auswahlentscheidung des Antragsgegners als fehlerhaft, weil die ihr (auch) zugrundeliegende dienstliche Beurteilung der Antragstellerin mangels inhaltlicher Aussagekraft keine taugliche Grundlage für den durchzuführenden Qualifikationsvergleich ist.
39 aa) Im verwaltungsgerichtlichen Konkurrentenstreitverfahren sind auch die dienstlichen Beurteilungen der Bewerber auf Mängel zu überprüfen. Eine defizitäre dienstliche Beurteilung führt dabei zur gerichtlichen Feststellung der Fehlerhaftigkeit der Auswahlentscheidung, wenn diese auf der Fehlerhaftigkeit der dienstlichen Beurteilung beruhen kann. Dienstliche Beurteilungen unterliegen allerdings auch im Rahmen der in Konkurrentenstreitverfahren vorzunehmenden Inzidentprüfung nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle, die den Beurteilungsspielraum des Beurteilers respektiert. Die verwaltungsgerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle dienstlicher Beurteilungen beschränkt sich demgemäß auch hier darauf, ob der Beurteiler gegen (normative oder administrative) Verfahrensregelungen verstoßen, die anzuwendenden Begriffe oder den gesetzlichen Rahmen seiner Beurteilungsermächtigung verkannt, einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt hat (st. Rspr., vgl. Senatsbeschluss vom 25.02.21 - 1 B 376/20 -, juris Rn. 28).

40 bb) Die im Wege einer fiktiven Fortschreibung erstellte dienstliche Beurteilung der Antragstellerin leidet an dem Beurteilungsfehler einer nicht vorhandenen belastbaren (Tatsachen-) Grundlage für die vom Beurteiler getroffenen Wertungen.
41 (1) Die nach Art. 33 Abs. 2 GG erforderlichen Feststellungen über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung sind in der Regel auf der Grundlage aktueller dienstlicher Beurteilungen zu treffen. Grund für die vorrangige Heranziehung dienstlicher Beurteilungen ist, dass diese zuverlässiger als andere Erkenntnismittel valide Feststellungen über die verfassungsrechtlich vorgegebenen gleichrangigen Auswahlkriterien der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung ermöglichen.
42 Die Vornahme des von Art. 33 Abs. 2 GG geforderten Qualifikationsvergleichs anhand dienstlicher Beurteilungen wirft indes Fragen auf, wenn dem Bewerberkreis Beamte angehören, die vom normalen Dienst - wie hier die Antragstellerin aufgrund der Tätigkeit als Schwerbehindertenvertrauensperson - befreit sind. Für diese Beamten kann eine aktuelle dienstliche Beurteilung jedenfalls nicht auf Basis tatsächlich erbrachter Dienstleistungen erstellt werden.
43 In einem solchen Fall können Rechtspositionen in Widerstreit geraten.
44 Das in Art. 33 Abs. 2 GG enthaltene Gebot der Bestenauslese und das damit korrespondierende verfassungsrechtlich geschützte öffentliche Interesse an einer optimalen Ämterbesetzung sowie der gleichgerichtete Bewerbungsverfahrensanspruch der einer normalen Diensttätigkeit nachgehenden Bewerber würden beeinträchtigt, wenn eine Auswahlentscheidung nicht vorrangig anhand dienstlicher Beurteilungen getroffen würde, die am zuverlässigsten Aufschluss über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung bieten.
Anderseits ist zu berücksichtigten, dass ein von der normalen Diensttätigkeit freigestellter Beamter als Bewerber, für den keine dienstliche Beurteilung auf Basis tatsächlich erbrachter Dienstleistungen erstellt werden kann, seinerseits aus Art. 33 Abs. 2 GG einen grundrechtsgleichen Anspruch auf gleichen Amtszugang nach Maßgabe von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung hat. Im Fall der Antragstellerin ist zudem das einfachgesetzliche Benachteiligungsverbot des § 179 Abs. 2 SGB IX zu beachten. Nach dieser Vorschrift dürfen Vertrauenspersonen für schwerbehinderte Menschen in der Ausübung ihres Amtes nicht behindert oder wegen ihres Amtes nicht benachteiligt oder begünstigt werden; dies gilt auch für ihre berufliche Entwicklung.
45 Dieses Spannungsverhältnis ist mit dem Ziel der weitestmöglichen Verwirklichung der widerstreitenden Rechtspositionen aufzulösen. Vielfach lässt sich dies dadurch erreichen, dass frühere dienstliche Beurteilungen vom normalen Dienst freigestellter Beamter fiktiv fortgeschrieben werden, wie dies partiell auch normativ geregelt ist (vgl. nur § 33 Abs. 3 BLV, § 9 LVO NRW).
46 Die fiktive Fortschreibung fingiert dabei eine im Beurteilungszeitraum tatsächlich nicht erbrachte Dienstleistung und unterstellt zugleich eine Fortentwicklung der Leistungen des Beamten entsprechend dem durchschnittlichen beruflichen Werdegang einer Gruppe vergleichbarer Beamter (vgl. Senatsbeschluss vom 15.06.21 - 1 B 513/20 -, juris Rn. 36; BVerwG, Urteil vom 16.12.10 - 2 C 11/09 -, juris Rn. 11). Eine fiktive Fortschreibung ermöglicht eine Aussage über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung und damit eine Einbeziehung der vom normalen Dienst freigestellten Beamten in das Auswahlverfahren unter Beachtung des Gebots der Bestenauswahl. Gleichzeitig wird damit dem Bewerbungsverfahrensanspruch aller Bewerber entsprochen und eine Benachteiligung des vom normalen Dienst freigestellten Beamten vermieden.
47 (2) Eine solche fiktive Fortschreibung ist indes nicht unbegrenzt möglich. Sie setzt eine belastbare (Tatsachen-)Grundlage voraus. Die Verlässlichkeit einer Prognose über die voraussichtliche Leistungsentwicklung eines vom normalen Dienst freigestellten Bewerbers ist umso höher, je länger und je qualifizierter dieser vor der Freistellung dienstliche Aufgaben erledigt hat, je kürzer dieser Zeitraum zurückliegt und je eher diese Aufgaben mit denjenigen des angestrebten Beförderungsamtes oder -dienstpostens vergleichbar sind. Hiernach ist die tatsächliche Möglichkeit einer belastbaren Prognose insbesondere von der Dauer des Zeitraumes abhängig, der zwischen der letzten beurteilten Dienstleistung und dem Beurteilungszeitraum liegt, für den die fiktive Fortschreibung erfolgen soll. Ab welcher Zeitspanne eine Prognose über die Leistungsentwicklung nicht mehr tragfähig ist, und mithin eine fiktive Fortschreibung nicht mehr in Betracht kommt, ist eine Frage des Einzelfalles (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.12.10 - 2 C 11/09 -, juris Rn. 11). Der Senat geht allerdings trotz der anzustellenden Einzelfallbetrachtung davon, dass nach 10 Jahren ohne beurteilbare Dienstleistung eine belastbare (Tatsachen- )Grundlage regelmäßig nicht mehr besteht. Nach einem Jahrzehnt erweist sich eine Aussage über eine prognostische Leistungsentwicklung in aller Regel als nicht mehr verlässlich möglich (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 16.12.10 - 2 C 11/09 -, juris Rn. 11 [16 Jahre zu lang]; Senatsbeschluss vom 15.06.21 - 1 B 513/20 -, juris Rn. 38 [nahezu 14 Jahre zu lang]; OVG Th., Beschluss vom 22.02.17 - 2 EO 500/16 -, juris Rn. 31 [5 ½ Jahre nicht zu lang]; Bay. VGH, Beschluss vom 18.11.15 - 6 CE 15.2260 -, juris Rn. 16 [Zeitraum von 8 Jahren nicht zu lang]; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 30.05.17 - 12 K 4010/16 -, juris Rn. 18 [Zeitraum von 12 Jahren zu lang]); VG Regensburg, Urteil vom 20.01.16 - RN 1 K 15.1434 -, juris Rn. 42 [Zeitraum von 10 Jahren nicht zu lang]).
48 (3) Vor diesem Hintergrund erweist sich die im Wege der fiktiven Fortschreibung erstellte dienstliche Beurteilung der Antragstellerin als fehlerhaft, weil es an einer belastbaren (Tatsachen-)Grundlage fehlt.
49 Die letzte dienstliche (Regel-)Beurteilung der Antragstellerin, die vor der Übernahme des Amtes der Schwerbehindertenvertrauensperson erstellt worden ist, und damit ihre damaligen tatsächlich gezeigten Leistungen bewertet hat, datiert auf den 2.12.04 und erfasst den Beurteilungszeitraum vom 1. April 1997 bis 30.09.04.
Zwischen dem Ende dieses Beurteilungszeitraums und dem Ende des die fiktive Fortschreibung betreffenden Zeitraums (31. Juli 2020), sind mehr als 15 ½ Jahre vergangen.
Damit besteht keine belastbare (Tatsachen-)Grundlage für eine verlässliche Einschätzung der weiteren Qualifikationsentwicklung der Antragstellerin mehr.
50 cc) Die Auswahlentscheidung erweist sich - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - auch nicht deshalb als zutreffend, weil der Beigeladene auch auf Grundlage der von dem Antragsgegner mit den Bewerbern geführten Auswahlgesprächen ausgewählt worden ist.
51 Kommt eine fiktive Fortschreibung der dienstlichen Beurteilung eines Bewerbers nicht (mehr) in Betracht, kann eine Auswahlentscheidung nicht ohne weiteres auf der Basis von mit den Bewerbern geführten Auswahlgesprächen getroffen werden.
52 (1) Der auswählenden Stelle kommt zwar ein Spielraum im Auswahlverfahren bei der Feststellung der Qualifikation der Bewerber zu. Dieser Spielraum wird jedoch durch die in Art. 33 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich vorgegebenen Kriterien der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gesteuert und damit zugleich beschränkt. Die auswählende Stelle darf sich nur solcher Erkenntnismittel bedienen, die eine verlässliche Aussage zu den vorgegebenen Kriterien ermöglichen. Auswahlgespräche ermöglichen dabei lediglich Aussagen zu Eignung und Befähigung („Potentialanalyse“), nicht aber zur fachlichen Leistung. Eine Aussage über fachliche Leistungen setzt eine längerfristige Beobachtung voraus (Senatsbeschlüsse vom 15.06.21 - 1 B 513/20 -, juris Rn. 47 sowie vom 16. April 2020 - 1 B 2734/18 -, juris Rn. 67; vgl. auch Günther, DÖD 2021, 77 ff., 109 ff.), die mithilfe von Auswahlgesprächen oder ähnlichen Auswahlinstrumenten nicht möglich ist, weil es sich hierbei lediglich um eine Momentaufnahme handelt.
53 (2) Hiervon ist entgegen einer in der Rechtsprechung (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. März 2019 - 1 B 1301/18 -, juris Rn. 17 ff. [zu einer Gleichstellungsbeauftragten]; Bay. VGH, Beschluss vom 28. Juli 2014 - 3 ZB 13.1642 -, juris Rn. 18 [zu einem Personalratsmitglied]) und der Literatur (vgl. Michaelis, ZBR 2020, 397, 410) vertretenen Auffassung auch dann nicht abzuweichen, und unmittelbar eine Auswahl auf Basis von Auswahlgesprächen zuzulassen, wenn - wie hier bei einer freigestellten Schwerbehindertenvertrauensperson - eine Aussage über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung nicht mehr im Wege der fiktiven Fortschreibung früherer dienstlicher Beurteilungen möglich ist.
54 Das Spannungsverhältnis zwischen dem durch Art. 33 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich geschützten öffentlichen Interesse an einer optimalen Ämterbesetzung sowie dem gleichgerichteten verfassungsrechtlichen Bewerbungsverfahrensanspruch der normalen Dienst leistenden Bewerber auf der einen Seite und dem verfassungsrechtlichen Bewerbungsverfahrensanspruch des vom normalen Dienst freigestellten Beamten sowie dem einfachgesetzlichen Benachteiligungsverbot des § 179 Abs. 2 SGB IX auf der anderen Seite rechtfertigt es nicht, sogleich auf weniger aussagekräftige Erkenntnismittel (hier: Auswahlgespräche) zurückzugreifen.
55 (a) Eine Auswahlentscheidung auf der Grundlage von Erkenntnismitteln, die - wie im Fall von Auswahlgesprächen - eine weniger valide Aussage zu Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zulassen, greift in das verfassungsrechtliche Gebot der Auswahl nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ein. Gleichzeitig wird hierdurch in den gleichgerichteten verfassungsrechtlichen Bewerbungsverfahrensanspruch der normalen Dienst leistenden Bewerber eingegriffen (vgl. Günther, DÖD 2021, 109, 115).
56 (b) Dieser Eingriff kann weder durch den verfassungsrechtlich verbürgten Bewerbungsverfahrensanspruch des vom normalen Dienst freigestellten Beamten noch durch ein einfachgesetzliches Benachteiligungsverbot gerechtfertigt werden.
57 (aa) Der (verfassungsrechtlich verbürgte) Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin kann eine Verletzung des in Art. 33 Abs. 2 GG verankerten Leistungsprinzips durch Zulassung von Auswahlgesprächen als vorrangiges Auswahlinstrument nicht rechtfertigen. Der Bewerbungsverfahrensanspruch vermittelt ein grundrechtsgleiches Recht auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Einbeziehung in die Bewerberauswahl (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.12.15 - 2 BvR 1958/13 -, juris Rn. 31). Die Bewerberauswahl muss dabei dem Prinzip der Bestenauswahl Rechnung tragen. Damit ist nicht vereinbar, ein Bewerbungsverfahren unter Dispensierung von einem der drei von der Verfassung vorgegebenen Qualifikationsmerkmale durchzuführen. Bei einer Auswahlentscheidung auf Basis von Auswahlgesprächen wäre dies aber im Hinblick auf das Merkmal der fachlichen Leistung der Fall.
58 Eine Auswahlentscheidung auf Basis von Auswahlgesprächen ist auch nicht aus der Erwägung zu rechtfertigen, dass anderenfalls der vom normalen Dienst freigestellte Beamte, für den eine fiktive Fortschreibung früherer dienstlicher Beurteilungen nicht mehr in Betracht kommt, vom Auswahlverfahren ausgeschlossen wäre. Ein Ausschluss aus dem Auswahlverfahren ist dadurch zu vermeiden, dass dem vom normalen Dienst freigestellten Beamten durch den Dienstherrn die Möglichkeit eingeräumt wird, den normalen Dienst zeitweise wiederaufzunehmen, um so eine taugliche Grundlage für eine Einschätzung der Leistung, Befähigung und insbesondere auch fachlichen Leistung zu schaffen (Lorse, Die dienstliche Beurteilung, 7. Aufl. 2020, Rn. 92a; ders., PersV 2020, 95; für eine zur Beförderung notwendige Erprobung auch BVerwG, Urteil vom 21.09.06 - 2 C 13/05 -, juris Rn. 10 ff. und Beschluss vom 25.06.14 - 2 B 1/13 -, juris Rn. 16 f.; VGH B-W, Beschluss vom 22. März 2021 - 4 S 75/21 -, juris Rn. 8 ff.). Dies ermöglicht auf der einen Seite eine Auswahlentscheidung, die den Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG gerecht wird. Auf der anderen Seite wird ein Ausschluss des betroffenen Beamten aus dem Auswahlverfahren vermieden und diesem die Möglichkeit eröffnet, nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung für die von ihm gewünschte Stelle ausgewählt zu werden. Um dem öffentlichen Interesse an einer zeitnahen Besetzung der ausgeschriebenen Stelle weitestgehend zur Geltung zu verhelfen, hat der vom normalen Dienst freigestellte Beamte - nachdem ihm der Dienstherr mitgeteilt hat, dass eine fiktive Fortschreibung seiner früheren Beurteilung nicht mehr möglich ist und die Einbeziehung in das Auswahlverfahren die Wiederaufnahme der normalen Diensttätigkeit voraussetzt - unverzüglich zu erklären, dass er bereit ist, seinen normalen Dienst (zeitweise) wiederaufzunehmen.
Gibt er eine solche Erklärung nicht ab, ist er im Interesse einer zeitnahen Besetzung von öffentlichen Ämtern vom Auswahlverfahren auszuschließen. Erklärt er hingegen seine Bereitschaft, obliegt es dem Dienstherrn dem Beamten einen Dienstposten zuzuweisen, der dessen amtsangemessene Beschäftigung ermöglicht. Eine Tätigkeit auf einem höherwertigen Dienstposten - wie von der Antragstellerin gewünscht - ist aufgrund eines damit einhergehenden möglichen Bewährungsvorsprungs grundsätzlich nicht zulässig. Die normale Diensttätigkeit sollte einen Zeitraum von 6 Monaten nicht unterschreiten und im Umfang von mindestens 50 % der Arbeitskraft eines vollzeitbeschäftigten Beamten ausgeübt werden. Auf diese Weise ist hinreichend gewährleistet, dass in überschaubarer Zeit eine aussagekräftige Grundlage für die Erstellung einer aktuellen dienstlichen Beurteilung geschaffen werden kann. Dass es von einem Beamten, der über viele Jahre keinen normalen Dienst geleistet hat, besondere Anstrengung abverlangen mag, innerhalb kurzer Zeit gleichwertige bzw. bessere Leistungen zu zeigen wie bzw. als Beamte, die durchgängig den normalen Dienst wahrgenommen haben (Michaelis, ZBR 2020, 397, 410), verkennt der Senat nicht. Der Bewerbungsverfahrensanspruch des freigestellten Beamten und einfachgesetzliche Benachteiligungsverbote suspendieren jedoch nicht von den verfassungsrechtlich in Art. 33 Abs. 2 GG niedergelegten Auswahlkriterien, insbesondere nicht von dem der fachlichen Leistung.
59 (bb) Im Hinblick auf das einfachgesetzliche Benachteiligungsverbot des § 179 Abs. 2 SGB IX ist zudem folgendes zu berücksichtigen:
60 § 179 Abs. 2 SGB IX normiert ein Benachteiligungs- und Begünstigungsverbot, was ausdrücklich auch die berufliche Entwicklung umfasst. In Gleichklang mit § 78 BetrVG und § 10 BPersVG (§ 8 BPersVG a.F.) wird zur Wahrung der Integrität der Amtsführung das Verbot aufgestellt, eine Vertrauensperson wegen ihres Amtes zu begünstigen oder zu benachteiligen (Düwell, in: Dau/Düwell/Joussen/Luik, SGB IX, 6. Aufl. 2022, § 179 SGB IX Rn. 23). Das heißt: Vertrauenspersonen dürfen weder schlechter noch bessergestellt werden.
Die Schutznorm soll gewährleisten, dass die Vertrauenspersonen ihr Amt unbeeinflusst von der Furcht vor Benachteiligungen und unbeeinflusst von der Aussicht auf Begünstigungen wahrnehmen. Demzufolge stellt es eine verbotene Benachteiligung dar, wenn das berufliche Fortkommen einer Vertrauensperson davon abhängig gemacht wird, dass diese ihre Freistellung aufgibt (in Bezug auf Personalratsmitglieder vgl. BVerwG, Urteil vom 21.09.06 - 2 C 13/05 -, juris Rn. 13).
61 Dieses (einfachgesetzliche) Recht auf Schutz vor beruflicher Benachteiligung genießt jedoch keinen absoluten Vorrang. Es wird durch das in Art. 33 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich verankerte Gebot der Bestenauslese beschränkt, dem auch Schwerbehindertenvertrauenspersonen unterworfen sind (zum Personalratsmitglied vgl. VGH B-W, Beschluss vom 22. März 2021 - 4 S 75/21 -, juris Rn. 10; Lorse, Die dienstliche Beurteilung, 7. Aufl. 2020, Rn. 90). Das Benachteiligungsverbot kann mithin nur soweit vor Benachteiligung schützen, wie dies mit Art. 33 Abs. 2 GG vereinbar ist. Im Konfliktfall muss das einfach- gesetzliche Benachteiligungsverbot - bereits aus Gründen der Normhierarchie - gegenüber den in Art. 33 Abs. 2 GG enthaltenen verfassungsrechtlichen Vorgaben zurücktreten.
62 c) Vor diesem Hintergrund ist es nicht ausgeschlossen, dass die Antragstellerin bei einer erneuten - in der dargestellten Weise ordnungsgemäßen - Auswahlentscheidung ausgewählt wird.
63 Ein Bewerber, der eine Verletzung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs aus Art. 33 Abs. 2 GG durch eine fehlerhafte Auswahlentscheidung des Dienstherrn geltend macht, kann nur dann eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung beanspruchen, wenn die Erfolgsaussichten in dem Sinne offen sind, dass seine Auswahl bei rechtsfehlerfreiem Verfahren möglich erscheint. Dies ist zusätzlich zu den geltend gemachten Auswahlfehlern positiv festzustellen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 23.09.15 - 1 B 707/15 - juris Rn. 27 und 1.02.18 - 1 B 1478/17 - n. v.). Die Beurteilung, ob die Auswahl möglich erscheint oder vollkommen ausgeschlossen ist, setzt eine wertende Betrachtung der Umstände des Einzelfalls voraus und kann deswegen nicht schon im Falle einer grundsätzlich immer gegebenen „theoretischen Chance“ des erfolglosen Bewerbers, ausgewählt zu werden, in dessen Sinne ausfallen (Senatsbeschluss vom 31. Juli 2020 - 1 B 1760/20 -, n. v.; OVG NRW, Beschluss vom 22. April 2020 - 1 B 38/20 -, juris Rn. 60).
64 Dass eine fiktive Fortschreibung der dienstlichen Beurteilung nicht möglich ist, schließt eine Auswahl der Antragstellerin für die streitgegenständliche Stelle nicht aus. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin - nach entsprechender Erklärung ihrerseits - die Gelegenheit einzuräumen, ihre normale Diensttätigkeit nach den dargestellten Grundsätzen wiederaufzunehmen. Der Senat weist zur Vermeidung eines weiteren Verwaltungsstreitverfahrens daraufhin, dass - sollte die Antragstellerin von der Möglichkeit Gebrauch machen, ihre normale Diensttätigkeit zeitweise wiederaufzunehmen - die Auswahlentscheidung vorrangig auf Basis der dienstlichen Beurteilungen zu treffen ist. Es ist unzulässig, die Auswahlentscheidung gleichrangig auf mehrere Erkenntnismittel zu stützen, wie dies vom Antragsgegner in der streitgegenständlichen Auswahlentscheidung geschehen ist.
65 ...

Bejaht man einen Anspruch auf Erteilung einer Beurteilung, dann gehen die Probleme erst richtig los: Wie soll den beurteilt werden, wenn nicht Dienst verrichtet wurde? Hierüber können die Gelehrten endlos streiten.
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